Freiheit für Anarchist_innen in Istanbul! Aktionstag 12.6.!!

Freiheit für die inhaftierten Anarchist_innen in Istanbul!
Internationaler Solidaritäts-Aktionstag am 12. Juni 2012

Am 14. Mai wurden 60 Menschen wegen ihrer Beteiligung an der 1. Mai-Parade in Istanbul festgenommen und ihre Wohnungen durchsucht. Ihnen wird „Sachbeschädigung öffentlichen Eigentums im Namen einer terroristischen Organisation“ vorgeworfen, weil bei der genannten Parade einige Banken beschädigt wurden. Neun von ihnen befinden sich nach wie vor in Haft. Ein LBGT-Mensch (lesbian-bisexual-gay-trans) unter ihnen, wurde mit hate-speech belästigt.
9 Aktivist_innen sind weiterhin injaftiert. Mit der Androhung von 15-20 Jahren Haft wurde manchen der neun in den ersten Tagen, in denen jeglicher Kontakt zu ihren Familien, Freund_innen und Anwält_innen verwehrt wurde, ein Geständnis zur Rädelsführerschaft in einer terroristischen Organisation abgepresst. Angesichts der Organisation aller Betroffenen in anarchistischen Zusammenhängen unterschiedlichster Spektren, von Tierbefreiung bis zu Menschenrecht, Umweltschutz und LBGT, ist dies ein geradezu absurder Vorwurf.
Es ist das erste Mal in der Türkei, dass der Vorwurf der Terroristischen Organisation auch gegen Menschen des anarchistischen Spektrums, der Tierrechts- und der Umweltschutzbewegung angewendet wird. Gegen kurdische Gruppen und andere Linke hat dieser Vorwurf leider schon eine lange Tradition.

Auch deswegen muss den Repressionsorganen gezeigt werden, dass die Inhaftierten nicht isoliert sind, sondern, dass sie eine breite, internationale Bewegung hinter sich wissen, die die Verteidigung des Lebens und der Würde von Menschen und Tieren wichtiger ist, als ein paar Fensterscheiben. In einem offenen Brief äussern sich die neun Gefangenen erstmals (http://www.ainfos.ca/en/ainfos26423.html) und die Organisation Yeryüzüne Özgürlük Derneği (Freedom to Earth Association) ruft zur internationalen Solidarität auf (http://de.indymedia.org/2012/05/330671.shtml).

Am 12. Juni werden in vielen Ländern der Welt Menschen vor türkischen Botschaften demonstrieren um ihre Solidarität mit den Inhaftierten auszudrücken und ihre Freilassung fordern. Organisiert eure eigene Aktion in eurer Stadt (http://www.mfa.gov.tr/turkish-representations.en.mfa)! Lasst die Gefangenen nicht allein!

Unterstützt die türkischen Aktivist_innen und fordert ihre sofortige Freilassung!

Die nächste türkische Repräsentation befindet sich in Strasbourg: STRASBOURG CONSULAT GENERAL DE TURQUIE
Address: 10 RUE, AUGUSTE LAMEY 67000 STRASBOURG/ FRANCE
Telephone: 00 33 (0)3 88 36 10 09 – 00 33 (0)3 88 36 69 10- 00 33 (0)3 88 36 68 14
Fax: 00 33 (0)3 88 37 97 39
consulat.strasbourg@mfa.gov.tr
http://strasbourg.cg.mfa.gov.tr

[der aufruf wurde von hier übernommen.]

 

 

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ein offener brief von anarchistischen gefangenen in der türkei an die öffentlichkeit

[dies ist die übersetzung dieses artikels in englischer sprache.]

wie bekannt sein dürfte, gab es von einigen anarchist_innen aus dem anarchistischen block am ersten mai 2012 angriffe auf einige banken und firmen im istanbuler stadtteil mecidiyeköy-şişli.

wir, neun der 60 menschen, die durch die polizeibehörde in gewahrsam genommen wurden, wir, neun anarchistische gefangene, die durch die entscheidung des neunten strafgerichts gefangen genommen und in das tpy-t-gefängnis in metris gesperrt wurden, schreiben diesen brief.

die meisten von uns wurden von antiterror-einheiten um 5 uhr am morgen des 14. mai in gewahrsam genommen und einige am folgenden tag. unsere computer, telefone, festplatten, bücher und viele andere persönliche dinge wurden von der polizei beschlagnahmt. es waren zwischen zehn und 20, die in unser haus kamen. die polizeibehörde warf uns „zerstörung öffentlichen eigentums im namen einer terroristischen organisation“ vor.

die gefangenen, die sehr unterschiedliche auffassungen der anarchistischen idee und die sich zum ersten mal im polizeigewahrsam gesehen haben, wurden der bildung einer terroristischen organisation beschuldigt und einige wurden während der befragung durch die polizei gezwungen, zuzugeben, deren führer_innen zu sein. auch wenn führerschaft total im gegensatz zur anarchistischen idee steht und dadurch unmöglich ist, war es die absicht der polizei dieses zu beweisen, genauso wie „die mitgliedschaft der gleichen terroristischen organisation“. diese unterstellungen sind tragisch-komische dummheit.

die menschen, die von der polizei beschuldigt werden, mitglieder einer terroristischen organisation zu sein, hatten keine waffen oder munition zu hause. allerdings wurden in der befragung durch die polizei bücher von autor_innen wie kropotkin, die in jeder buchhandlung gefunden werden können, als beleg für eine organisation herangezogen. die artikel, die sie gelesen hatten und die videos, die sie in sozialen netzwerken geteilt hatten, wurden dem gericht von der polzei als beweise vorgelegt. auch die mitgliedschaften der leute in einer rechtshilfe-organisation, die zu tierbefreiung, menschenrechten und ökologischen fragen arbeitet, mussten als beweise, vorgelegt durch die polizei, herhalten.

all der psychische druck, der auf die leute ausgeübt wurde: sie waren vier tage in gewahrsam und es war ihnen nicht erlaubt, ihre familienmitglieder zu sehen. es war ihnen nicht einmal erlaubt, jemanden anzurufen, auch nicht ihre anwält_innen. einer unsere lgbt-freunde wurde durch verbale gewalt angegriffen. alle wurden dazu gezwungen, die existenz einer terroristischen organisation zuzugeben und falschaussagen über die mitgefangenen zu machen. auch tätigten zwei menschen, die mit 15-20 jahren gefängnis wegen mitgliedschaft in einer terroristischen organisation bedroht wurden, falschaussagen über leute, über die sie gar nichts wussten. unter dem druck der polizei, beschuldigten sie einige leute, gegen die die polizei keine beweise hatte, sei es durch telefongespräche, internet- oder irgendeine andere kommunikation mit anderen, führer_innen der organisation zu sein und „identifizierten“ sie als angreifer_innen.

die meisten unserer freunde wurden eingesperrt, nur weil sie ähnliche taschen, schuhe, gürtel etc. hatten (wie sie millionen menschen haben können) wie die menschen, die während des angriffes gefilmt wurden. natürlich wird mit diesen mangelhaften und irrationalen beweisen nicht bewiesen, dass eine anarchistische terrororganisation existiert. darum wurden wir beschuldigt, öffentliches eigentum zerstört zu haben.

wir wollen deutlich machen, dass es uns, als anarchist_innen, die alle gesetze und authoritäten ablehnen und die alle staaten als mörder ansehen, egal ist, ob der staat uns als terrorist_innen bezeichnet oder nicht. der gleiche staat, der in „roboski“ dutzende von menschen umbringen ließ, der den elf jahre alten uğur kaymaz mit 13 kugeln ermordete und die täter_innen nicht bestrafte. der staat, der 1977 34 menschen umgebracht hat und dafür nicht eine person in gewahrsam nahm, aber kein problem damit hatte, 60 menschen in gewahrsam zu nehmen und einzusperren für 3-5 zerbrochene bankschaufenster.

zwei der eingesperrten freund_innen konnten nicht an den abschlussexamen ihrer universitäten teilnehmen. es besteht die möglichkeit einer untersuchung durch die universitäten und die beiden könnten suspendiert oder entlassen werden. eine_r unserer freund_innen bereitet sich auf die aufnahmeprüfung der universität vor. es ist klar, dass es nicht möglich ist, im gefängnis dafür genug zu studieren. eine_r unserer freund_innen, der/die m.a./m.s. studiert, wird die diplomarbeit nicht weiterschreiben. wir erhielten die nachricht, dass drei freund_innen nach ihrer festnahme, entlassen wurden.

seit wir in gewahrsam genommen wurden, machten wir unsere erfahrungen mit dem rechtssystem, von dem der staat immer behauptet, dass es so großartig sei: in wahrheit ist es nichts anderes, als ein unterdrückungs- und normierungswerkzeug. ideen wie gerechtigkeit und recht gibt es nur in der theorie.

wir wollen jetzt draußen sein. aber lasst uns klarstellen, dass wir weder darum bitten, noch darum betteln werden.

wir wissen, dass wir nur wegen unserer politischen ideen im gefängnis sind. darum bereuen wir auch nicht, was wir getan oder nicht getan haben. der grund, diesen brief zu schreiben, ist einzig der, der öffentlichkeit die wahrheit zu erzählen. er soll sie dabei unterstützen, zu erkennen, was vor sich geht.

wir wissen, dass diejenigen, die uns eingesperrt haben, nicht nur bezwecken, uns für die teilnahme an einer aktion zu bestrafen. sie wollen uns in diejenigen verwandeln, die angst davor haben, ihre ureigenen rechte wahrzunehmen. aber eines wissen sie nicht: die gefängnisse ihrer abscheulichen zivilisation können unsere ideen nicht unterdrücken und wir fühlen uns stärker als jemals zuvor.

wir begreifen alle anarchist_innen der welt als unsere genoss_innen und schicken unsere grüße, unsere liebe und unseren ruf nach solidarität an alle aufständischen der welt, die das feuer der freiheit in ihren herzen tragen und die aus athen, amed, chiapas, gaza, toronto oder seattle kommen… ihr müsst wissen, dass ihr nicht alleine seid und dass menschen in diesen orten auch kämpfen.

wir danken allen diesen für die solidarität und für die aktionen, die uns unterstützen.

es ist unmöglich, unsere gefühle für die örtlichen anarchist_innen, die uns unterstützen und aktionen für uns machten (wie der rest der welt), zu beschreiben. diese seiten sind zu kurz für unseren dank an sie.

wir umarmen sie mit unseren sehr innigen grüßen.

lasst sie wissen, dass wir wissen, dass sie bei uns sind und dass wir uns nie alleine fühlen, nicht einen einzigen moment.

mit wünschen von uns für viele lange tage der aufstände und solidarität.

anarchistische gefangene:

beyhan çağrı tuzcuoğlu
burak ercan
deniz
emirhan yavuz
murat gümüşkaya
oğuz Topal
Sinan gümüş
ünal can tüzüner
yenal yağcı

[übersetzt von nigra. für verbesserungen bin ich dankbar.]

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„Wohin am 1. Mai?“

Fragt und beantwortet das Anarchistische Netzwerk Südwest*

In vielen Län­dern der Welt wird der 1. Mai als „Tag der Ar­beit“ be­gangen: Volks­feste, Fahr­rad­touren und hoher Al­ko­hol­konsum be­stimmen das Bild. Nur we­nige nehmen an den ri­tua­li­sierten De­mons­tra­tionen der eta­blierten Ge­werk­schaften teil. Kaum je­mand kennt den kämp­fe­ri­schen Ur­sprung des 1. Mai als Kampftag der in­ter­na­tio­nalen Ar­beiter_in­nen­be­we­gung. Ein Blick zu­rück in die Ge­schichte bringt längst ver­ges­sene Ziele und Träume von Ar­beiter_innen ans Ta­ges­licht, die weit über heu­tige For­de­rungen, wie z.B. Lohn­er­hö­hungen, hin­aus­gingen…

19. Jahr­hun­dert: Die Si­tua­tion der Ar­beiter_innen in den USA

Ob­wohl der 8-Stunden-Tag in der zweiten Hälfte des 19. Jahr­hun­derts schon Ge­setz war, wurde er von den Ar­beit­geber_innen igno­riert. Min­des­tens 12 Stunden täg­li­cher Ar­beit und Kin­der­ar­beit trotz gleich­zei­tiger hoher Ar­beits­lo­sig­keit bei den Er­wach­senen waren an der Ta­ges­ord­nung. Ar­beit­nehmer_in­nen­rechte gab es in der Rea­lität nicht. Ge­wohnt wurde in völlig über­füllten Ba­ra­cken und Miets­ka­sernen, in denen übelste hy­gie­ni­sche Be­din­gungen herrschten.

For­de­rungen und Ak­tionen

Durch­ge­setzt wurde die ge­setz­liche An­er­ken­nung des 8-Stunden-Tages durch kämp­fe­ri­sche Streiks, bei denen immer wieder Po­lizei, Armee und pri­vate Si­cher­heits­kräfte gegen die Strei­kenden ein­ge­setzt wurden. In Chi­cago waren bei dieser Be­we­gung auch an­ar­chis­ti­sche Gruppen stark en­ga­giert. Deren For­de­rungen und Ziele schlossen die Über­win­dung des ka­pi­ta­lis­ti­schen Sys­tems mit ein. Di­rekte Ak­tion und die „Pro­pa­ganda der Tat“ waren ihre Kampf­mittel. Sie ver­trieben ei­gene Zei­tungen und grün­deten be­waff­nete Ar­beiter_in­nen­or­ga­ni­sa­tionen. Die An­ar­chist_innen waren eine trei­bende Kraft der Be­we­gung und in den Ge­werk­schaften ver­wur­zelt. Im Früh­jahr 1886 er­reichte die Be­we­gung zur tat­säch­li­chen Um­set­zung des 8-Stunden-Tages ihren Hö­he­punkt. Die Ar­beiter_innen setzten den 1. Mai als Stichtag für dessen Ver­wirk­li­chung an.

Der 1.Mai 1886, Hay­market Riot und die Folgen

Am 1. Mai streikten al­lein in Chi­cago 40.000 Ar­beiter_innen für den 8-Stunden-Tag. 80.000 Men­schen gingen für diese For­de­rung auf die Straße. Vor der Mc­Cor­mick-Land­ma­schi­nen­fa­brik kam es am 3.Mai zu einer Aus­ein­an­der­set­zung zwi­schen Strei­kenden und Streik­bre­cher_innen. Bei dem an­schlie­ßenden Po­li­zei­ein­satz wurden meh­rere Ar­beiter_innen ge­tötet und un­zäh­lige ver­letzt.

Als Re­ak­tion darauf riefen die An­ar­chist_innen für den fol­genden Abend zu einer Pro­test­kund­ge­bung auf dem „Hay­mar­ket“ auf. Es ver­sam­melten sich über 2000 Men­schen fried­lich. Kurz vor der Auf­lö­sung der Kund­ge­bung wurden die ver­blie­benen 300 De­mons­tran­tInnen ohne er­kenn­baren Grund von 200 Po­li­zisten an­ge­griffen. Bei der fol­genden Aus­ein­an­der­set­zung de­to­nierte in den Reihen der Po­lizei eine Bombe.

Ein Po­li­zist stirbt so­fort, wei­tere sechs er­liegen in den fol­genden Wo­chen ihren Ver­let­zungen. Un­klar bleibt, ob sie durch die Bombe oder, wie ver­schie­dene Quellen be­haupten, durch ihre wild in die Menge schie­ßenden Kol­legen ver­letzt wurden.

Die Re­pres­si­ons­welle

Be­reits in den frühen Mor­gen­stunden des fol­genden Tages be­gann die Po­lizei eine groß­an­ge­legte Re­pres­si­ons­welle: es gab un­zäh­lige Haus­durch­su­chungen, hun­derte von Ver­haf­tungen und Ver­höre. Von Seiten der Staats­an­walt­schaft gab es grünes Licht für Rechts­brüche aller Art: „Ma­chen sie erst die Raz­zien und schauen da­nach im Ge­setz nach.“. Die Po­lizei zö­gerte nicht, selbst an­ge­legte Waf­fen­lager auf­zu­de­cken und diese als Be­weise für eine an­ar­chis­ti­sche Ver­schwö­rung zu be­nutzen. Be­gleitet und ge­recht­fer­tigt wurden diese Ma­chen­schaften von het­ze­ri­schen Zei­tungs­be­richten, die große Teile der Chi­ca­goer Presse ver­brei­teten. Von den un­zäh­ligen Ver­haf­teten und auch An­ge­klagten wurden let­zend­lich acht be­kannte und ak­tive An­ar­chisten des Mordes an­ge­klagt.

Der Pro­zess

„Das Ge­setz klagt die An­ar­chie an! Diese Männer wurden an­stelle von tau­senden vor Ge­richt ge­stellt, nicht etwa weil sie schul­diger sind, son­dern weil sie deren An­führer waren. Gent­lemen! Sta­tu­iert ein Exempel an ihnen, hängt sie! Nur so retten wir un­sere In­sti­tu­tionen, un­sere Ge­sell­schafts­ord­nung!“ Dieses Zitat der Chi­ca­goer Staats­an­walt­schaft sagt schon alles über den Cha­rakter des Pro­zesses aus. Vor­ein­ge­nom­mene Ge­schwo­rene, ge­fol­terte und be­sto­chene Zeugen, feh­lende Be­weise und die be­glei­tende Hetze der Presse sorgten dafür, dass der Pro­zess zum Schau­pro­zess wurde und das ge­wünschte Ur­teil schnell fest­stand: sieben An­ge­klagte werden zum Tod ver­ur­teilt, einer wird zu langer Haft­strafe ver­ur­teilt. Ein erst 23 Jahre alter brachte sich im Ge­fängnis um und kam somit seinen Hen­kern zuvor. Am 11. No­vember 1887 werden vier wei­tere er­hängt. Zwei konnten durch Gna­den­ge­suche an den Gou­ver­neur eine Um­wand­lung des To­des­ur­teils in eine lang­jäh­rige Haft­strafe er­rei­chen.

Die Folgen

Be­reits wäh­rend des Pro­zesses kam es zu großer So­li­da­rität der in­ter­na­tio­nalen Ar­beiter_in­nen­be­we­gung mit den In­haf­tierten. Im Jahr 1889 wurde der 1. Mai in Ver­bin­dung mit der Ge­ne­ral­streik­de­batte in Paris zum in­ter­na­tio­nalen Kampftag der Ar­beiter_innen er­klärt. Den­noch verlor die starke an­ar­chis­ti­sche Be­we­gung in den USA völlig an Be­deu­tung und das Wort „An­ar­chie“ wird seither von der welt­weiten Öf­fent­lich­keit mit Ge­walt und Chaos in Ver­bin­dung ge­bracht.

Im Jahr 1893 wurde der Pro­zess of­fi­ziell zum Jus­tiz­mord er­klärt und die drei noch In­haf­tierten frei­ge­lassen.

„Der An­ar­chismus be­deutet nicht Blut­ver­gießen, be­deutet nicht Räu­berei, Brand­stif­tung usw. Diese Un­ge­heu­er­lich­keiten sind viel­mehr cha­rak­te­ris­ti­sche Züge des Ka­pi­ta­lismus. An­ar­chismus und So­zia­lismus be­deuten Friede und Ruhe für alle.“
Au­gust Spieß aus seiner „An­klage der An­ge­klag­ten“

Ka­pi­ta­lis­ti­sche Ge­gen­wart und an­ar­chis­ti­sche Utopie

Die Si­tua­tion der Ar­beit­nehmer_innen ist zu­min­dest in den rei­chen Län­dern des Nor­dens nicht mehr ver­gleichbar mit den Be­din­gun­gungen am Ende des 19. Jahr­hun­derts. Er­run­gen­schaften, wie das Streik­recht, der 8-Stunden Tag, so­ziale Ab­si­che­rung usw. wurden er­kämpft. Seit Jahren werden diese je­doch von der ka­pi­ta­lis­ti­schen Rea­lität in Frage ge­stellt und nach und nach zer­schlagen. Un­ab­hängig von diesen kos­me­ti­schen Ver­schö­ne­rungen waren die Grund­struk­turen der Aus­beu­tung über die Jahre hinweg immer die Glei­chen.

Ein Zu­stand der auch nicht mehr in Frage ge­stellt wird seit die ra­di­kale Ar­beiter_in­nen­be­we­gung in der Be­deu­tungs­lo­sig­keit ver­sank. Heute be­stimmen Dis­kus­sionen über 2% mehr oder we­niger Lohn die Ar­beits­kämpfe. Die hier­ar­chisch auf­ge­bauten Ge­werk­schaften bieten keine Lö­sungen son­dern sind in­zwi­schen selbst Teil der ka­pi­ta­lis­ti­schen Ver­wer­tungs­logik ge­worden.
Let­zend­lich wird nur an Sym­ptomen her­um­ge­dok­tert – eine grund­le­gende Kritik an den Ur­sa­chen und eine Utopie ab­seits ka­pi­ta­lis­ti­scher Ver­hält­nisse findet in der breiten Öf­fent­lich­keit nicht statt.

Aber genau das und die Um­set­zung dieser Utopie ist not­wendig, wenn wir eine Welt ohne Aus­beu­tung und Un­ter­drückung wollen. Dabei können und dürfen wir nicht darauf hoffen, dass uns je­mand zu dieser Utopie hin­führt. Nur wenn wir aus ei­gener Mo­ti­va­tion selbst­or­ga­ni­sierte wi­der­stän­dige Netz­werke auf­bauen, die herr­schafts­frei or­ga­ni­sierte Al­ter­na­tiven auf­zeigen und leben – und aus diesen heraus die ka­pi­ta­lis­ti­sche Rea­lität an­greifen und in Frage stellen – wird unser Wi­der­stand von Dauer sein und zu einer kon­kreten Be­dro­hung für die be­ste­henden Ver­hält­nisse werden.

Dafür ist es wichtig un­sere Ni­schen­kämpfe zu­sam­men­zu­führen. Egal ob so­ziale Kämpfe, An­ti­fa­schismus, Wi­der­stand gegen Bil­dungs­abbau oder Öko­lo­gie­be­we­gung: es muss der Kampf ums Ganze sein. Denn das eine hängt mit dem an­deren un­trennbar zu­sammen.

Wir for­dern alle Men­schen auf, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, an­statt die Ver­ant­wor­tung bei Wahlen an Po­li­tiker_innen und Funk­tionär_innen ab­zu­geben.

Und jetzt?

In diesem Jahr finden im Süd­westen* viele De­mons­tra­tionen und Ak­tionen rund um den 1. Mai statt. Hier findet ihr eine kleine Über­sicht, was wann wo geht:

Mann­heim:

An­ti­fa­schis­ti­sche Demo, da­nach: Na­zi­auf­marsch ver­hin­dern! | 09:00 Uhr, Ge­werk­schafts­haus | Infos: akan­tifa-mann­heim.de

Vil­lingen-Schwen­ningen:

Re­vo­lu­tio­närer Block auf DGB-Demo | 10:00 Uhr, Bahnhof Schwen­ningen | Infos: lin­ke­ak­tion.blogs­port.de

Heil­bronn:

An­ti­ka­pi­ta­lis­ti­scher Block auf DGB-Demo | 10:30 Uhr, DGB-Haus | Infos: ers­ter­maihn.word­press.com

Frei­burg:

So­zi­al­re­vo­lu­tio­närer Block auf DGB-Demo | 11:00 Uhr, Stüh­linger Kirch­platz | Infos: fau.org/frei­burg

Stutt­gart:

Re­vo­lu­tio­näre 1. Mai-Demo | 11:30 Uhr, Schloss­platz | Infos: 1mai­stutt­gart.blogs­port.de

Karls­ruhe:

Re­vo­lu­tio­näre 1. Mai-Demo | 13:00 Uhr, Wer­der­platz | Infos: 1mai­karls­ruhe.blogs­port.de

[Text­quelle: An­ti­fa­schis­ti­sche Ak­tion Of­fen­burg & Fédéra­tion An­ar­chiste de Stras­bourg]

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m31: top oder flop?

über 5000 menschen kamen am 31.03.2012 zum antikapitalistischen aktionstag m31 in frankfurt am main zusammen. in vielen anderen europäischen städten fanden ebenfalls aktionen statt.

nach einer erfolgreichen mobilisierungsphase, vielen vorbereitungstreffen und über 200 informationsveranstaltungen, fanden über 5000 menschen aus der antiautoritären bewegung ihren weg in die bankenmetropole am main: basisgewerkschaftler_innen der fau-ortsgruppen, autonome, anarchist_innen, kommunist_innen und viele mehr.

schon während der auftaktkundgebung ab 14 uhr am bahnhof wurde klar, dass die anvisierte zahl von 5000 menschen erreicht werden würde: die kreuzung und die straße bis zum hauptbahnhof waren prall gefüllt mit aktivist_innen. unzählige fahnen und transparente, stelzengeher_innen, rotgelbe und andere demosantitäter_innen, eine sambagruppe und bananenverteiler_innen setzten in der eher schwarzen masse bunte akzente.

auch wenn das ziel der demo die besetzung der baustelle der europäischen zentralbank war, machten, wie schon in der mobilisierungsphase, die redner_innen klar, dass es nicht darum gehen kann reformierte banken, geläuterte manager_innen und einen sanften kapitalismus zu fordern. da die wurzel allen übels der kapitalismus an sich ist, muss das radikale ziel seine abschaffung sein.

kurz nach 15 uhr setzte sich die demo auf der kaiserstraße in richtung innenstadt in bewegung. erreichte die demospitze schon das occupy-camp am von polizeikräften abgeriegelten eurotower der europäischen zentralbank, standen noch immer unzählige leute am startpunkt und warteten darauf, losgehen zu können.

im bereich eurotower und bethmannstraße kam es immer wieder zu entglasungen, farbattacken und pyroeinsätzen. die menschen im vorderen bereich der demo auf der berliner straße bekamen davon außer dem lärm von böllern nichts mit und wunderten sich darüber, dass sich die polizei plötzlich behelmte und die demo stoppte.

nach einigem hin- und her ging es in angespannter atmosphäre auf der berliner straße weiter richtung dem eigentlichen ziel des tages, der 24/7-monster-baustelle der neuen ezb. doch dieses ziel sollte am heutigen tag nicht erreicht werden. auf der kreuzung am allerheiligentor schlug die polizei zu und spaltete die demo in zwei teile, um den hinteren teil einzukesseln. obwohl über den lautsprecherwagen genau auf dieses szenario nur wenige minuten vorher hingewiesen wurde, gelang es der polizei dennoch mit großer brutalität (schlagstockeinsatz, pfeferspray, schilden) über 100 menschen einzuschließen. daran änderte auch das einsetzende unkoordinierte kreuzfeuer von flaschen, steinen und pyros wenig. im gegenteil stiftete es mehr verwirrung unter den ungeschützten menschen, die sich nun vor den wurfgeschossen aus der zehnten reihe in sicherheit bringen mussten: nicht wenige böller, bengalos, steine und flaschen landeten in den eigenen reihen. der spuk war schnell vorbei.

die lautsprecheransage der polizei war eindeutig: sie würde es auf keinen fall zulassen, dass sich die demo wieder vereinigte. die gekesselten genoss_innen würden in gewahrsam genommen. und der rest der demo sollte sich nun vorwärts bewegen. dieser aufforderung wurde zähneknirschend nach über 90 minuten nachgekommen. jedoch mit einer planänderung: nicht mehr die baustelle war das ziel, sondern eine polizeiwache in der innenstadt. doch auch dieser plan wurde von der polizei auf der schönen aussicht am main in sichtweite der baustelle vereitelt: sie kesselte die demo und erklärte diese wegen ihres „unfriedlichen charakters“, kurz nachdem es die demo-orga tat, für beendet. in kleinen gruppen wurden die menschen aus diesem kessel entlassen.

was nun folgte war ein katz- und mausspiel in der innenstadt. viele kleingruppen bewegten sich begleitet von sirenen, blaulicht und polizeitrupps durch die stadt. es wurde dunkel aber nicht ruhiger. bis tief in die nacht gab es aktionen.

der polizeikessel am allerheiligentor bestand für neun stunden. menschen die daraus und auf der straße in gewahrsam genommen wurden, wurden teilweise weit verteilt in gesas untergebracht: frankfurt, wiesbaden, darmstadt und offenbach.

der m31 aktionstag in frankfurt am main war lang und lässt sich nicht mit wenigen worten und bildern darstellen oder gar auswerten.

als gelungen sehe ich die mobilisierung an. in wenigen monaten wurde ein teilweise europaweites netzwerk der antiautoritären und antikapitalistischen bewegung initiiert. menschen und gruppen schlossen sich über meinungsverschiedenheiten und nationalgrenzen hinweg zusammen, um laut hörbar radikale ideen von einer befreiten gesellschaft jenseits des kapitalismus zu verbreiten. dies wurde in vielen vorbereitungs- und vernetzungstreffen, in über 200 informationsveranstaltungen, unzähligen mobi-videos und mit einer guten pressearbeit getan.

die infrastruktur vor ort und die organisation im vorfeld der demo waren klar und transparent. die freigelassenen menschen waren auch um vier uhr morgens gut versorgt und wurden nicht allein gelassen.

die demonstration an sich ist schwer zu bewerten. viele menschen, viele unübersichtliche situationen, ein lang gedehnter demozug machen es mir unmöglich, zu erklären, warum, wo und wann das ganze gekippt und der plan der besetzung nicht mal in greifbare nähe gerückt ist. ich stelle mal ein paar fragen: warum wurde nicht mal eine halbe stunde nach demobeginn mit militanten aktionen begonnen (der tag war noch jung und die nacht lang…)? warum wurden wie schon so oft in völlig unübersichtlichen situationen teilweise aus der zehnten reihe kreuz und quer steine, flaschen und pyros geworfen (polizist_innen tragen rüstungen, aktivist_innen nicht…)? warum wurde der besetzungsplan plötzlich aufgegeben?

abgesehen vom nichterreichen des gesteckten ziels, hatte die demo viele gute und positive aspekte: es kamen (ich kann’s nur wiederholen) über 5000 menschen aus der antiautoritären bewegung. das werte ich als erfolg und zeigt mir deutlich, dass wir auf einem guten weg sind. bis auf wenige ausnahmen waren die parolen und sprüche auf transparenten und schildern radikal antikapitalistisch und emanzipatorisch. die reden waren nicht platt und reformistische sprüche oder ein einschießen auf die bösen manager_innen der an allem schuldigen banken suchte mensch vergeblich.

was bleibt vom tage übrig? ich hoffe, dass die weiteren ziele von m31, eine breite und beständige vernetzung und organisierung der antiautoritären bewegung in deutschland und europa und ein solidarisches signal an die menschen in griechenland erreicht werden und wurden.

let’s organize!

mehr infos:
march31.net
6000 auf m31 demo in frankfurt
m31: zehntausende gegen kapitalismus
kurzdoku der filmpiraten

[zum vergrößern bilder anklicken. mehr fotos zum artikel findet ihr auf indymedia linksunten.]

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antifaschismus ist muss

nach jahren hat die ortenau endlich wieder eine organisierte antifa-gruppe.

hier geht’s zu ihrem blog: antifaog.noblogs.org
kontakt könnt ihr (auch verschlüsselt) über folgende adresse aufnehmen: antifa-ortenau“ät“riseup“punkt“net

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M31: Interview mit dem Anarchistischen Netzwerk Südwest* in der Sonderausgabe der Gǎi Dào

Heute ist die Sonderausgabe der Gǎi Dào (pdf), der Zeitung des Forums deutschsprachiger Anarchist*innen (FdA) erschienen. Darin führte die Redaktion unter anderem ein Interview mit dem Anarchistischen Netzwerk Südwest* zum geplanten europaweiten Aktionstag gegen den Kapitalismus und den geplanten Protesten in Frankfurt am 31. März.

 “Das ist schonmal ein wichtiger Schritt”

Interview mit dem Anarchistischen Netzwerk Südwest*

In den regionalen Vorbereitungs- und Mobilisierungsbündnissen zum M31-Aktionstag in Frankfurt am Main sticht besonders das Anarchistische Netzwerk Südwest* heraus. Ist es doch das einzige Bündnis, welches unabhängig und weit vor M31 gegründet wurde. Wir sprachen mit Vertreter*innen des Netzwerks über ihr Engagement im M31-Bündnis, ihre Erwartungen und natürlich auch über das Netzwerk an sich.

Erzählt doch kurz etwas über das Anarchistische Netzwerk Südwest. Wie und wann ist es entstanden und was grenzt das “Südwest” ein?*

Das Anarchistische Netzwerk Südwest wurde im Sommer 2010 “offiziell” gegründet und ist aus einer losen Vernetzung libertärer/ anarchistischer Gruppen im “Südwesten” heraus entstanden. Das “Südwest” beschreibt grob den südwestlichen Teil des deutschsprachigen Raumes, also Baden-Württemberg, das Saarland und Rheinland-Pfalz, es bestehen aber auch enge Kontakte in die Nordschweiz und nach Ostfrankreich.

Was waren bisher eure Betätigungsfelder bzw. Aktionen als Netzwerk?

Gestartet sind wir im Frühjahr 2010 mit einer Veranstaltungsreihe zum Thema Arbeit und zur Abschaffung der Lohnarbeit mit Vorträgen und Diskussionen in vielen verschiedenen Städten. Das Ganze lief damals allerdings noch nicht unter dem “Label” des
Netzwerkes, da es dieses zu diesem Zeitpunkt offiziell noch gar nicht gab.
Am 15. Oktober 2011 haben wir im Rahmen eines internationalen Aktionstages eine antikapitalistische, libertäre Demonstration unter dem Motto “Es ist keine Krise – es ist das System!” in Karlsruhe organisiert.
Als Weiterführung dieser Demo und der Krisen-Thematik findet gerade eine Veranstaltungsreihe unter dem selben Motto statt.

Wieso beteiligt ihr euch an M31? Was hat euch an diesem Konzept überzeugt?

Das Konzept von M31 hat uns aus mehreren Blickwinkeln überzeugt. Zum einen die inhaltliche Ausrichtung, also dass es wirklich um eine Kritik am kapitalistischen System als Ganzes geht. Die bisherigen Proteste, die sich inhaltlich auf die Krise bezogen haben, hatten leider immer einen gewissen Rahmen der Kritik und erschöpften sich oft in den Forderungen nach einer “Regulierung” oder “Reformation” des bisherigen Systems, nicht auf dessen Überwindung. Dennoch soll der Aktionstag nicht auf diese – zugegeben ziemlich abstrakte – Ebene beschränkt bleiben, sondern an aktuelle Kämpfe und Proteste vor Ort anknüpfen.
Beispielsweise wird die anarchosyndikalistische ZSP in Polen ihren Schwerpunkt auf Wohnungsnot und Gentrifizierung legen, weil das dort gerade akut ist. Die Demonstration in Frankfurt wird zwar zur Baustelle der europäischen Zentralbank (EZB) ziehen
und diese als politischen Akteur in der aktuellen Krise benennen und kritisieren, dennoch werden weitere Schwerpunkte gelegt, wie etwa die – durch den Bau – kommende Umstrukturierung des Frankfurter Ostends.
Auch die räumliche Nähe zur Großmarkthalle, in der zur NS-Zeit viele Deportationen von Jüd*innen und anderen Gegner*innen der Nationalsozialisten stattfanden, wird thematisiert.
Generell gefällt uns die Idee einer dauerhaften Vernetzung undogmatischer linksradikaler Gruppen und Gewerkschaften aus vielen Ländern, da ist in der Vergangenheit viel zu wenig passiert. Auf eine globale Krise muss die radikale Linke auch mit einer globalen Bewegung reagieren.

In welcher Form beteiligt ihr euch genau an der Mobilisierung und am Aktionstag selbst?

Wir organisieren die gemeinsame Anreise, also Busse und Zugtreffpunkte, aus dem “Südwesten” nach Frankfurt. Darüber hinaus wird es in vielen Städten auch Info- und Mobilisierungsveranstaltungen geben.
Für alle Infos und Termine rund um die M31-Mobilisierung aus dem “Südwesten” haben wir auch extra eine Sonderseite eingerichtet: m31.a-netz.org.

Am Aktionstag selbst beteiligen wir uns natürlich ersteinmal an der Demonstration in Frankfurt, allerdings haben wir natürlich auch die längerfristige Vernetzung im Blick.

M31 versteht sich nicht nur als einzelner Aktionstag, sondern auch als Vernetzung emanzipatorischer Kräfte in ganz Europa über den 31. März hinaus. Was erwartet ihr davon für die Zukunft?

Wie wir vorhin schon erwähnt haben, ist bei der Vernetzung progressiver Kräfte in Europa noch einiges zu tun. Obwohl fast jedes Land – natürlich in unterschiedlichem Maß – von der aktuellen Krise betroffen ist, hat sich noch keine handlungsfähige Gegenbewegung innerhalb der europäischen, radikalen Linken gebildet. Wir haben das Gefühl, dass bisher viel zu sehr im eigenen Sud gekocht wurde, also beispielsweise anarchosyndikalistische Gewerkschaften, föderalistisch-anarchistische Gruppen oder undogmatischkommunistische Bewegungen ihre jeweils eigenen Kämpfe und Aktionsfelder geführt und bearbeitet haben. M31 kann ein erster Versuch sein, die verschiedenen Akteure, Strömungen und Kämpfe zusammen zu führen. Und das nicht nur auf europäischer Ebene, sondern schon weit darunter. Denn wir stellen erfreut fest, dass in manchen Ländern verschiedene progressiven Strömungen am Aktionstag teilnehmen, die sich in der Vergangenheit eher distanziert gegenüber standen. Das ist schonmal ein wichtiger Schritt.

Die Krise zeigt sich in jedem Land in anderen Auswirkungen, genauso wie sich der Protest gegen Krise und Krisenverwaltung jeweils anders darstellen und zusammensetzt. In Deutschland jedoch existieren kaum permanente und breite Proteste gegen die zunehmende Verschärfung der Krise. Wieso denkt ihr ist das so und was könnt ihr als Netzwerk tun, um diese Lethargie aufzubrechen?

Die Frage, wieso besonders in Deutschland progressive Proteste gegen die Krise auf sich warten lassen, ist ziemlich komplex und der Versuch einer ausreichenden Antwort würde den Rahmen hier wohl sprengen.
Ein, aktuell wichtiger Punkt ist zweifelsohne, dass Deutschland aufgrund seiner politischen und wirtschaftlichen Position europa- und weltweit (noch) nicht so stark von unmittelbaren Folgen der Krise betroffen ist, als bspw. Griechenland oder Spanien. Es wurden bisher keine großangelegten Sparprogramme verabschiedet, die auf einen Schlag große Teile der Bevölkerung trafen. Natürlich finden wir hier den selben sozialen Kahlschlag, also Abbau von Sozial-, Gesundheits- oder Bildungsleistungen, Entlassungen, Ausbau von prekären Arbeitsverhältnissen usw. wie in vielen anderen Ländern auch. Jedoch trifft es hier immer einzelne Berufszweige oder soziale Schichten. Das fördert die Konkurrenz untereinander und erschwert einen gemeinsamen, solidarischen Kampf.

Auch historisch gibt es mit Sicherheit einige Faktoren die hier eine Rolle spielen, bspw. der Fakt, dass Deutschland noch nie eine “Revolution von unten” erlebt hat, also das politische, soziale und wirtschaftliche Verbesserungen meist von der Regierung (bspw. die Sozialversicherung unter Bismarck) oder von außen (“Demokratie” nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs) durchgesetzt wurden.

Was können wir für 2012 vom Anarchistischen Netzwerk erwarten?

Auf M31 bezogen wollen wir – wie schon gesagt – uns auch nach dem 31. März in der Vernetzung beteiligen. Wie diese Zusammenarbeit im Detail aussehen wird, werden wir nach dem Aktionstag diskutieren müssen, momentan steht dieser erstmal im Vordergrund. Auch unsere “Es ist keine Krise – es ist das System!”-Reihe, die momentan mit inhaltlichen Veranstaltungen läuft, wird mit Sicherheit in irgendeiner Form weitergehen, das planen und diskutieren wir gerade.

Daneben werden wir in den nächsten Monaten noch eine kleine Broschüre herausbringen, die sich an Personen ohne politische Vorkenntnisse richtet und gängige Klischees über den Anarchismus aufgreift und widerlegt. Da stecken wir gerade am Feinschliff und den letzten finanziellen Details. Es haben in den letzten Monaten auch erfreulich viele Gruppen Interesse am Anarchistischen Netzwerk und an der Mitarbeit in selbigem gezeigt. Das bedeutet natürlich auch einiges an interner
Arbeit und Diskussion. Abschließend können wir sagen, dass wir uns auf ein kämpferisches 2012 mit vielen, neuen Mitstreiter*innen freuen.

Was kann ich tun, wenn ich an Zusammen- bzw. Mitarbeit bei euch interessiert bin?

Das Anarchistische Netzwerk Südwest* versteht sich als offenes, aber kontinuierlich arbeitendes Netzwerk. Prinzipiell sind alle Gruppen, die unsere Ansichten und Standpunkte teilen und grob im “Südwesten” anzutreffen sind, herzlich eingeladen, mitzumachen und -arbeiten. Dazu könnt ihr einfach Kontakt zu einer der nächstgelegenen Gruppen aufnehmen. Wo ihr diese findet, könnt ihr am besten auf unserer Website unter a-netz.org nachsehen.

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bücher lesen: linux und co

freie software – ideen für eine andere gesellschaft

stefan meretz, autor, informatiker und betreiber verschiedener internetseiten, hat dieses kleine aber sehr feine büchlein schon im jahre 2000 geschrieben. heute, 12 jahre später, hat es nichts an aktualität verloren: die freie-software-bewegung ist dank des internets lebendiger als je zuvor.

meretz packt in die gerade mal 77 seiten ein geballte ladung an informationen, analysen und interessanten ausblicken.

im ersten teil behandelt er die geschichte der freien software, macht einen ausflug in zeiten, in denen software grundsätzlich quelloffen war und zeigt die entwicklung hin zu proprietärer software im alles durchdringenden kapitalismus, woraus schließlich die zarte pflanze der bewusst freien software keimen konnte und musste.

der zweite teil ist überschrieben mit „freie software ist wertlos – und das ist gut so!“. hier betrachet der autor in einer verständlichen und lebendigen sprache das widersprüchliche verhältnis von freier software und dem alles verwerten müssenden kapitalismus (meretz nennt den k. eine kybernetische, also eine sich selbst steuernde maschine): gerade weil freie software wertlos (nicht nutzlos) ist, entzieht sie sich dem marktwirtschaftlichen zugriff. hier war die erfindung der gpl-lizenzen eine maßgebliche, historische tat.

im dritten teil erläutert meretz die geschichte der produktivkraftentwicklung und versucht einen blick in deren zukunft. er lässt marx, kurz und andere zu wort kommen, skizziert die entwicklung der gesellschaft von der sklavenhalterischen über die feudalistische hin zur kapitalistischen, die sich in einer historischen ära befindet. wir haben uns die möglichkeit geschaffen, den kapitalismus hinter uns zu lassen und eine weltweit selbstorganisierte gesellschaft, von sich selbstentfaltenden individuen zu bilden. jenseits der verwertung von allem. meretz erschafft das bild einer globalen, sich selbst planenden gesellschaft, die ohne manager_innen, zentralkommitee und fünfjahresplan auskommt und auf dezentralen, auf der selbstentfaltung der menschen basierenden strukturen ruht. er beschreibt hier nichts anderes als eine herrschaftsfreie, solidarische und kooperative gesellschaft. im allgemeinen würde ich das als anarchie bezeichnen.

der letzte teil trägt den titel „freie software für freie menschen in einer freien gesellschaft“. meretz zeigt, dass in der bewegung der freien software viele der eigenschaften der oben skizzierten freien gesellschaft schon vorweggenommen werden: selbstentfaltung und entfaltung der anderen gehen hand in hand. es gibt keine zentrale planung und kein verwertungsinteresse, sondern nur ein nützlichkeitsinteresse.

er plädiert dafür, freie software als das was sie in ihrem kern ist, zu benennen: antikapitalistisch. gleichzeitig zeigt er nüchtern die schwierigkeiten auf, sich in einer kapitalistischen gesellschaft nischen jenseits der verwertung zu schaffen und zu erhalten. es ist kein zufall, das dies besonders gut im bereich der software möglich war und ist.

für meretz ist der kapitalismus nichts dämonisches, sondern ein verstehbarer mechanismus. und wir können aufgrund unserer erkenntnisse über ihn entsprechend handeln. verbinden wir das mit freier sofware, hat sie „eine chance“ und ist ein „lebendiges beispiel für keimformen einer neuen gesellschaft.“

ein lesenswertes buch, das gnu/linux auf die politische bühne hebt: da gehört es hin. als anarchist und gnu/linux-nutzer finde ich es erstrebenswert, wichtig und essentiell, dass wir im bewusstsein aller widersprüche, schon im hier und jetzt alle möglichkeiten und nischen nutzen, um auf eine freie gesellschaft hinzuarbeiten. sei es auf demos, in freiräumen, selbstverwalteten betrieben, kollektiven, diskussionen oder eben indem wir freie software nutzen, weiterverbreiten oder sogar programmieren. all das sind die „keimformen“ von denen meretz schreibt.

linux und co, freie software – ideen für eine andere gesellschaft
autor: stefan meretz
verlag: ak spak bücher
isbn: 3-930830-16-7
neupreis: 6,50 €

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tortuga gibt nicht auf

luciano, genannt tortuga (span. für schildkröte) verletzte sich bei einem missglückten bombenanschlag auf eine bank in santiago de chile im sommer 2011 schwer (1, 2).

in den vergangenen neun monaten machte seine genesung den umständen entsprechend große fortschritte und seine psyche scheint stärker zu sein, als je zuvor.

so schrieb er am neujahrstag aus dem knast: „ … weil solange ich am leben bin, werde ich weiter kämpfen. es spielt für mich keine rolle, ob ich einige finger, eine hand, mein gehör oder meine fähigkeit zu sehen verloren habe: ich werde um jeden preis weitermachen. das sollten meine feinde genauso wissen wie meine genoss_innen.“ der brief ist deutlich formuliert und voller energie: luciano schreibt über seine tochter, den knast, er bedankt sich ausführlich für die weltweiten solidaritätsaktionen, beschreibt sein hin- und hergerissensein zwischen schweigen den behörden gegenüber und seinem wunsch, den genoss_innen über sich, die aktion und vieles andere zu berichten. am ende wendet er sich direkt an die person, die ihn in jener tragischen nacht begleitet hatte: „ … und ich werde dir niemals für irgendetwas einen vorwurf machen, denn in dieser nacht war ich an der reihe, so wie du in vergangenen zeiten an der reihe warst: falls etwas schief läuft, flieht die zweite person. das war unsere abmachung und so musste es sein. auch wenn du dich viele male wie ein_e verräter_in gefühlt haben magst: das bist du nicht, …“

dieser kämpferische und einfühlsame text war dann auch der grund für die staatsanwaltschaft mitte februar den gelockerten vollzug für luciano wieder aufzuheben: er befand sich in der wohnung seiner mutter unter hausarrest. nach der veröffentlichung des textes wurde der hausarrest widerrufen und luciano musste zurück ins gefängnis. auch seine doppelte staatsangehörigkeit, er hat den chilenischen und italienischen pass, musste als begründung herhalten: es bestehe angesichts seiner guten gesundheitlichen fortschritte fluchtgefahr.

nun ließ die staatsanwaltschaft verlauten, dass sie insgesamt 15 jahre haft für totuga fordert: 12 jahre für das legen der bombe im rahmen des anti-terrorgesetzes und 3 jahre für das verwenden von gefälschten/gestohlenen nummernschildern am motorrad, das für die aktion als fahrzeug genutzt wurde.

morgen, am 20. märz 2012, beginnt der prozess gegen tortuga.

alles gute für dich!

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17. märz m31 mobi-veranstaltung in offenburg

Alarm e.V. lädt ein:

17. märz mobi-veranstaltung zum antikapitalistischen aktionstag am 31. märz in frankfurt am main

Offenburg fährt nach Frankfurt

Am 31. März 2012 findet in Frankfurt am Main der Aktionstag gegen Kapitalismus statt. Wie in vielen anderen Städten Europas kommen Menschen zusammen, die es satt haben, dass über ihre Leben von wenigen Mächtigen bestimmt wird, dass der Kapitalismus weiterhin als einzige Möglichkeit angeprießen wird, dass um das goldene Kalb des Wachstums getanzt wird.

Der Aktionstag will ein Zeichen der Solidarität mit den kämpfenden Menschen in Griechenland setzen und soll ein Startpunkt sein für eine engere Zusammenarbeit und Vernetzung der antikapitalistischen und
antiautoritären Bewegung.

Der Bus aus Freiburg macht einen Zwischenstopp in Offenurg. Tickets könnt ihr bei uns für 18 € oder 20 € (Solipreis) kaufen.

Die beste Gelegenheit dafür ist Samstag, der 17. März. Ab 19 Uhr findet an diesem Abend im Alarmraum eine Infoveranstaltung zum 31. März statt. Hier erfahrt ihr mehr über die Hintergründe und den geplanten Ablauf des Aktionstages.

Kommt zur Info-Veranstaltung!
Fahrt mit nach Frankfurt!
Kapitalismus in die Tonne kloppen!

[hier könnt ihr einen mobi-jingle zu m31 anhören.]

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on the air…

das freie radio tübingen hat am 13. märz ein interview mit einem genossen von [lb]² ausgestrahlt. thema war die krisen-kampagne und mobilisierung nach frankfurt am main zu m31 des anarchistischen netzwerks südwest*.

das interview könnt ihr auf freie-radios.net oder direkt hier anhören.

 

 

 

 

 

 

 

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