freie software – ideen für eine andere gesellschaft
stefan meretz, autor, informatiker und betreiber verschiedener internetseiten, hat dieses kleine aber sehr feine büchlein schon im jahre 2000 geschrieben. heute, 12 jahre später, hat es nichts an aktualität verloren: die freie-software-bewegung ist dank des internets lebendiger als je zuvor.
meretz packt in die gerade mal 77 seiten ein geballte ladung an informationen, analysen und interessanten ausblicken.
im ersten teil behandelt er die geschichte der freien software, macht einen ausflug in zeiten, in denen software grundsätzlich quelloffen war und zeigt die entwicklung hin zu proprietärer software im alles durchdringenden kapitalismus, woraus schließlich die zarte pflanze der bewusst freien software keimen konnte und musste.
der zweite teil ist überschrieben mit „freie software ist wertlos – und das ist gut so!“. hier betrachet der autor in einer verständlichen und lebendigen sprache das widersprüchliche verhältnis von freier software und dem alles verwerten müssenden kapitalismus (meretz nennt den k. eine kybernetische, also eine sich selbst steuernde maschine): gerade weil freie software wertlos (nicht nutzlos) ist, entzieht sie sich dem marktwirtschaftlichen zugriff. hier war die erfindung der gpl-lizenzen eine maßgebliche, historische tat.
im dritten teil erläutert meretz die geschichte der produktivkraftentwicklung und versucht einen blick in deren zukunft. er lässt marx, kurz und andere zu wort kommen, skizziert die entwicklung der gesellschaft von der sklavenhalterischen über die feudalistische hin zur kapitalistischen, die sich in einer historischen ära befindet. wir haben uns die möglichkeit geschaffen, den kapitalismus hinter uns zu lassen und eine weltweit selbstorganisierte gesellschaft, von sich selbstentfaltenden individuen zu bilden. jenseits der verwertung von allem. meretz erschafft das bild einer globalen, sich selbst planenden gesellschaft, die ohne manager_innen, zentralkommitee und fünfjahresplan auskommt und auf dezentralen, auf der selbstentfaltung der menschen basierenden strukturen ruht. er beschreibt hier nichts anderes als eine herrschaftsfreie, solidarische und kooperative gesellschaft. im allgemeinen würde ich das als anarchie bezeichnen.
der letzte teil trägt den titel „freie software für freie menschen in einer freien gesellschaft“. meretz zeigt, dass in der bewegung der freien software viele der eigenschaften der oben skizzierten freien gesellschaft schon vorweggenommen werden: selbstentfaltung und entfaltung der anderen gehen hand in hand. es gibt keine zentrale planung und kein verwertungsinteresse, sondern nur ein nützlichkeitsinteresse.
er plädiert dafür, freie software als das was sie in ihrem kern ist, zu benennen: antikapitalistisch. gleichzeitig zeigt er nüchtern die schwierigkeiten auf, sich in einer kapitalistischen gesellschaft nischen jenseits der verwertung zu schaffen und zu erhalten. es ist kein zufall, das dies besonders gut im bereich der software möglich war und ist.
für meretz ist der kapitalismus nichts dämonisches, sondern ein verstehbarer mechanismus. und wir können aufgrund unserer erkenntnisse über ihn entsprechend handeln. verbinden wir das mit freier sofware, hat sie „eine chance“ und ist ein „lebendiges beispiel für keimformen einer neuen gesellschaft.“
ein lesenswertes buch, das gnu/linux auf die politische bühne hebt: da gehört es hin. als anarchist und gnu/linux-nutzer finde ich es erstrebenswert, wichtig und essentiell, dass wir im bewusstsein aller widersprüche, schon im hier und jetzt alle möglichkeiten und nischen nutzen, um auf eine freie gesellschaft hinzuarbeiten. sei es auf demos, in freiräumen, selbstverwalteten betrieben, kollektiven, diskussionen oder eben indem wir freie software nutzen, weiterverbreiten oder sogar programmieren. all das sind die „keimformen“ von denen meretz schreibt.
linux und co, freie software – ideen für eine andere gesellschaft
autor: stefan meretz
verlag: ak spak bücher
isbn: 3-930830-16-7
neupreis: 6,50 €