scharia ante portas

fressen der islamismus und das militär die kinder der nordafrikanischen revolutionen?
was ist übrig von der aufbruchstimmung in nordafrika?

wo organisierte religion ihren fuß in die tür stellt, ist misstrauen angesagt. in tunesien tut sie das vehement und mit sehr großem fuß. die islamistische ennahda gewann die ersten freien wahlen nach der revolution und stellt nun 90 von 217 sitzen im parlament.

sprecher und vorsitzende der partei geben sich moderat, sichern den frauen in tunesien gleichberechtigung zu und wollen zb alkohol nicht verbieten. folgendes zitat von parteichef ghannouchi macht mich sehr misstrauisch: er wolle ein land, „in dem die Rechte Gottes, des Propheten, der Frauen, der Männer, der Religiösen und der Nicht-Religiösen gesichert sind“. wenn der vorsitzende einer religiösen partei von den „Rechten Gottes und des Propheten“ spricht, sind einschränkungen für alle nichtmuslim_as, nichtgläubigen und frauen vorprogrammiert. was sind diese ominösen rechte gottes (so es ihn denn überhaupt gibt)? was sind die rechte von mohamed (so es ihn denn überhaupt gab), der seit 1500 jahren tot ist?

viele menschen in tunesien sehen die entwicklung mit sorge. einige von ihnen machten ihrer enttäuschun und wut durch demonstrationen und handfeste interventionen luft. dazu kommen die berichte über unregelmäßigkeiten bei der wahlkampffinanzierung einiger parteien.

in ägypten ist immer noch der militärrat an der macht und herrscht mit eiserner hand und willkür. seit seiner machtübernahme wurden über 12 000 menschen von militärgerichten abgeurteilt. einer von ihnen ist maikel nabil sanad. er ist kritischer blogger und kriegsdienstverweigerer und war von der ersten stunde an auf dem tahirplatz in kairo. als kriegsdienstverweigerer, pazifist und atheist hatte er es nie leicht in seinem land. nun sitzt er seit ende märz 2011 wegen „beleidigung des militärs“ im knast und befindet sich seit dem 23. august aus protest gegen seine inhaftierung im hungerstreik. seit dem 18. oktober scheint er in einer für misshandlungen berüchtigten, psychatrischen einrichtung eingesperrt zu sein. die graswurzelrevolution schreibt in ihrer novemberausgabe (leider noch nicht online) hier ganz richtig von einer „pathalogisierung der militärkritik“. der autor befürchtet, dass maikel mittels psychopharmaka gebrochen werden soll.

auch arbeitskämpfe werden von militäreinsätzen bekämpft und beendet. unzählige arbeiter_innen sitzen in den militärknästen, weil sie für mehr lohn und bessere arbeitsbedingungen gekämpft haben.

parallel zu dieser situation biedern sich die neoliberalen muslimbrüder dem militärrat an und suchen im hinblick auf die ende november anstehenden wahlen bündnispartner.

muslimbrüder und salafisten kämpfen beide gegen religiöse und soziale minderheiten und das nicht nur mit worten. so wurden u.a. von salafisten eine kirche und mehrere häuser von christ_innen angezündet und angegriffen. diese konflikte wurden nicht von der revolution ausgelöst. sie sind viel älter, treten aber durch die neue situation in ägypten greller in den vordergrund. dennoch hatten nicht wenige menschen (auch ich) die hoffnung auf eine positive entwicklung im land am nil.

in libyen ist der krieg offiziell zu ende, die nato hat ihren einsatz beendet, gaddafi wurde in gerechtem zorn abgeschlachtet und seine entstellte leiche öffentlich zur schau gestellt (panem et circenses …).

gadaffis leiche - demokratie in libyen

und schon beginnt das aufteilen der kriegsbeute unter den siegermächten, sprich den usa, frankreich, italien und großbritannien. allein frankreich wurden 35 % der zukünftigen geschäfte zugesichert.

die libysche gesellschaft steht vor einem trümmerhaufen und bis zu 60 000 toten durch den nato-einsatz.

obwohl frauen einen großen anteil an der revolte hatten, sitzt nur eine im natogestützten übergangsrat. und ankündigungen, dass die scharia als grundlage für die gesetzgebung dienen soll, machen nicht nur den frauen angst.
aktivist_innen, die für eine trennung von staat und religion eintreten, berichten von einschüchterungen durch islamistische kräfte.

und die größten wünsche der westlichen mächte, zu denen auch deutschland gehört, sind weiterhin garantierte rohstofflieferungen, eine ungebremste, reibungslose flüchtlingsabwehr und der erhalt billiger urlaubsorte. so lange der euro, das pfund und der dollar rollen, ist alles gut. der wunschzettel wird voll erfüllt werden, weil sich in nordafrika das system nicht grundlegend geändert hat, sondern nur die personen ausgetauscht wurden und die drei staaten ein demokratisches facelifting erhalten. sobald wieder ruhe im maghreb eingekehrt, die toten begraben und gras über deren gräber gewachsen ist, kann jeder player zu seinem business as usual zurückkehren.

es ist eine ernüchternde bilanz, die nach den revolten in nordafrika, zu ziehen ist. sie macht wieder einmal deutlich, wie träge menschen und ganze gesellschaften reagieren und sich verändern und wie wenig die chancen zu tiefgreifenden veränderungen wahrgenommen werden. sie macht deutlich wie stark der einfluss der westlichen mächte und der mulitnationalen konzerne in der region ist.

eine wirkliche trennung von religion und staat, eine umfassende gleichberechtigung von frauen und männern und den verschiedenen ethnischen minderheiten in den drei ländern und ein eigener norafrikanischer weg ohne abhängigkeiten zum westen wären wünschenswert gewesen und waren in greifbarer nähe. und nicht wenige menschen vor ort haben genau dafür gekämpft. sie haben weniger erreicht, als sie wollten, aber mehr, als wenn sie geschwiegen hätten.

ein anfang ist gemacht, der viele andere menschen in westlichen und arabischen ländern inspiriert hat.

es geht immer weiter.

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