Ganz neu erschienen ist im Verlag Graswurzelrevolution der Essay „Veganarchismus – Thesen zum Verhältnis zwischen Veganismus und Anarchismus“ von Neo C. Auf 75 Seiten setzt sich Neo mit Anarchismus und Veganismus auseinander, zeigt ihre Überschneidungen und plädiert dafür, sich explizit an Anarchist*innen richtend, im Anarchismus, Tiere bzw. Tierbefreiung immer mitzudenken.
Schon 2010 erschien im Verlag Graswurzelrevolution der Sammelband „Das Schlachten beenden!“ und zeigte anhand historischer Texte von z. B. Leo Tolstoi oder Elisée Reclus, dass Anarchismus und Tierbefreiung schon sehr früh von einigen Menschen zusammengedacht wurden. Auch andere Bücher und Texte setzten sich hin und wieder mit beiden Themen auseinander, wurden aber nie so deutlich und auffordernd wie „Veganarchismus“.
Ich hatte in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren das Glück, dass ich durch Punk (Crass und Conflict sind hier besonders hervorzuheben), die radikale Umweltbewegung und mein persönliches Umfeld über beide Themen so ziemlich gleichzeitig gestolpert bin und irgendwie konnte ich mir das eine nie ohne das andere vorstellen. Zu naheliegend waren für mich die Parallelen und Herrschaftskritik schloss für mich immer auch die Kritik am Speziesismus mit ein.
Nach einem Vorwort, in dem Neo über Klasse und Haupt- und Nebenwidersprüche schreibt, geht der*die Autor*in erstmal grundsätzlich auf den Begriff des Veganismus ein, ordnet ihn historisch ein und zeigt seine verschiedenen Erscheinungsformen auf. Wie kommt Veganismus in der Tierbewegung (damit ist die Gesamtheit von Tierschützer*innen, Tierrechtler*innen und Tierbefreier*innen gemeint) vor und wie verhalten sich seine Spielarten zu denen der Tierbewegung.
In den folgenden vier Thesen zeigt Neo, dass der heutige Anarchismus im Angesicht seiner historischen, immer noch gültigen Grundprinzipien Herrschafts- und Hierarchielosigkeit, Dezentralität, Freiwilligkeit, Dynamik und Solidarität, der Verwobenheit der Unterdrückungs- und Diskriminierungsmechanismen im Kapitalismus, des Zusammenhangs zwischen der systematischen, normalisierten Gewalt gegen Tiere (Karnismus) und zwischenmenschlicher Gewalt und der Erkenntnis, dass in der Postmoderne mit ihren permanenten (ökologischen) Krisen Anarchismus nicht mehr anthropozentristisch sein kann und darf, mindestens den Veganismus und am besten die Tierbefreiung beinhalten muss.
Zum Schluss geht Neo auf drei hypothetische Argumente von Seiten der Anarchist*innen ein, die mir so oder sehr ähnlich auch schon vorgetragen wurden. Neo setzt sich mit dem Vorwurf der Bevormundung auseinander: Wie ist die Forderung nach einer veganen Lebensweise mit radikaler Freiheit, die der Anarchismus angeblich verspricht, vereinbar? Ist Veganismus ein Luxus-Lifestyle von weißen Mittelstandskiddies, also exklusiv und klassistisch? Und zuguterletzt beantwortet Neo die Frage, ob Veganismus nicht bloße verkürzte Kapitalismuskritik sei à la „Wenn wir nur alle das Richtige kaufen, wird alles gut“. Neo geht empathisch und sachlich auf diese Fragen ein und bringt nachvollziehbare und unaufgeregte Antworten.
Im Fazit fordert der*die Autor*in kritische Leser*innen (also Anarchist*innen, die nach dem Lesen dieses Essays immer noch stur bleiben „Zwinkersmiley“ ) auf, sich mit ihren Einwänden per Email zu melden. Es wäre cool, wenn diese Korrespondenz – so es sie denn geben wird – irgendwie zugänglich gemacht werden würde.
Alles in allem ein sehr lesbarer Band, der Lust macht auf mehr Texte von Neo C. zur Synthese von Anarchismus und Veganismus und Tierbefreiung.
Neo C. Veganarchismus Thesen zum Verhältnis zwischen Veganismus und Anarchismus 79 Seiten ISBN 978-3-939045-48-9 10,90 Euro Reihe »Auf den Punkt«
[Meine bisherigen Texte mit dem Tag Vegan/Tierrechte/Tierbefreiung findet ihr hier.]