„augenblick mal…!“ dachte ich, als ich im vorbeifahren aus dem augenwinkel einen blick auf den offenburger knast erhaschte. habe ich das richtig gelesen? in riesigen buchstaben? auf dem dach des knastes? ja, tatsächlich, dort steht eine 35 meter lange skulptur aus zwei meter hohen buchstaben, die das wort „augenblick“ bilden.
[augenblick foto geklaut von hier.]
mein erster gedanke war, dass ich das ganz schön zynisch finde, den gefangenen menschen das wort „augenblick“ unter die nasen zu reiben. als ob ihre gefangenschaft nur einen solchen dauern würde. viele sitzen hier für jahre und lebenslänglich.
doch die gefangenen bekommen die skulptur nur sehr selten zu sehen: sie steht auf dem dach der zwangsarbeits-werkstätten und ist nur vom besucher*innenraum und den verwaltungsräumen zu sehen. und eben von außerhalb der mauern.
was also will die skulptur in uns auslösen? vielleicht das:
aus sicht der besucher*innen: zum glück bin ich nur einen augenblick hier eingesperrt…
aus sicht der angestellten in der verwaltung: zum glück dauert es nur noch einen augenblick bis zum feierabend…
aus sicht des gefangenen, der dann doch mal besuch erhält oder in einem büro der verwaltung z.b. sein beschlagnahmtes radio zurückverlangen will: augenblick mal, wollen die mich verarschen? ich bin noch neun jahre, acht monate und 24 tage hier drin…
die künstlerin lucia dellefant schreibt auf ihrer seite dazu:
„Die den Fenstern zugewandte Front des 30 Meter langen Wortes ist aus V2A 3D Stahl gefertigt. In dieser glänzenden Oberfläche spiegelt sich das Geschehen innerhalb der Räume und auf den Dachterrassen. Diese Spiegelungen in der Skulptur halten Augenblick für Augenblick fest und lassen diese für jeden im wahrsten sinne des Wortes ersichtlich werden.
Durch das Lesen des Wortes, das beobachten der Bewegungen und die Wahrnehmung der eigenen Person in der reflektierenden Oberfläche, wird die gegenwärtige Handlung des Betrachters für einen Augenblick unterbrochen – der Betrachter nimmt sich aus einem zeitlichen Ablauf heraus, hält inne und verharrt für einen Moment.
Es entsteht eine Pause, Ruhe kehrt ein und der Augenblick gewinnt an Raum. Vergangenheit und Zukunft, Entscheidungen, Aufgaben und Bedürfnisse, all diese Dinge rücken in den Hintergrund, können für ein paar Sekunden vergessen werden – nur der Augenblick – das subjektive empfinden von Gegenwart – zählt.
Die Skulptur AUGENBLICK lässt uns die Faszination eines Momentes erleben, ihn bewusster empfinden und ihn genießen, weit über den Begriff hinaus – beim Anblick der wunderbaren Landschaft.“
kein wort zum ort ihrer kunst, kein wort über die menschen, die hier eingesperrt sind. dafür sinnloses geschwurbel über „Wahrnehmung der eigenen Person“, stillstehende zeit und die „wunderbare Landschaft“. ist das zynismus? verdrängung von gesellschaftlicher realität (über 70.000 menschen sind in deutschland eingeknastet.)? egal, wo, hautpsache ich bringe meine kunst an den bau?
ich frage mich:
augenblick mal, warum werden menschen eingesperrt, um ihnen zu helfen?
augenblick mal, warum ist kunst oft so scheiße?