gedanken zu molotovcocktails, gewalt und der revolution
am 5. mai starben drei menschen in athen.
sie waren angestellte einer filiale der marfin-bank und arbeiteten dort, als unbekannte aus einer demonstration heraus das gebäude in brand steckten.
infolge der rauchentwicklung wurden sie ohnmächtig und kamen in den flammen um.
wie konnte es so weit kommen?
griechenland befindet sich in der größten wirtschaftskrise seiner geschichte. die regierung schnürte ein sparpaket, das wie immer die lasten unter den armen verteilt: enorme gehaltskürzungen, heraufsetzung des rentenalters, kürzung von sozialausgaben, etc pp.
die gewerkschaften, angestellte des öffentlichen dienstes, angestellte privater unternehmen, kommunist_innen, anarchist_innen und viele andere gingen zu hunderttausenden auf die straßen der griechischen großstädte, um dagegen zu protestieren: friedlich und militant.
die polizei setzt ihre ganzen kräfte ein und agiert wie immer äußerst gewalttätig.
am 5. mai kommt es dann zur größten demonstration des generalstreiks. über 200 000 menschen gehen allein in athen auf die straßen und wollen zum parlamentsgebäude, das von der polizei abgeriegelt ist.
die demo zieht auch an einer filiale der marfin-bank vorbei. es befinden sich ca 20 angestellte in den oberen stockwerken.
aus der demo heraus wird die bank in brand gesetzt.
es gibt keine verlässlichen quellen darüber, wer es war. gerüchte aber zuhauf: anarchist_innen und autonome; der klassiker: agents provocateurs; leute, die beweismittel für steuerhinterziehungen vernichten wollen oder eine gasgranate der polizei..
ich merke, wie mich das geschehene, obwohl ich nicht dabei war, seit bekanntwerden stark beschäftigt. meine gedanken kreisen um ein paar kernstücke: was ist militanz? beführworte ich gewalt? will ich die toten gegeneinander aufrechnen: drei tote gegenüber 10 000er tote täglich als opfer des kapitalismus? wie stark schadet die behauptung, das es anarchist_innen war „unserer sache“? warum haben wir uns so an die täglichen opfer des kapitalismus‘ gewöhnt?
wenn es agents provocateurs waren, bin ich irgendwie erleichtert (puh, „wir“ waren es nicht…), aber nicht überrascht: zu oft haben die mächtigen bewiesen, dass sie vor solchen mitteln nicht zurückschrecken. aber irgenwie glaube ich nicht an die these der agents provocateurs.
wenn es leute waren, die beweismittel vernichten wollten und die gunst der stunde nutzten, wundere ich mich nicht, da solche menschen oft über leichen gehen. aber dieses gerücht hört sich für mich zu stark nach verschwörungstheorie an.
wenn es eine gasgranate der polzei war: kein wunder, dass so was mal passieren würde bei dem völlig aus dem ruder gelaufenen einsatz von „less lethal weapons“. aber kann eine gasgranate so ein feuer in so kurzer zeit auslösen?
wenn es aber menschen aus der bewegung, aktivist_innen der szene, anarchist_innen waren, stehe ich vor einer riesen baustelle.
ich kann die toten nicht rechtfertigen. weder mit „es war nicht gewollt“, „wer die revolution will, muss sowas in kauf nehmen“ noch mit „die bank ist schuld: sie haben die angestellten gezwungen, an diesem tag zu arbeiten“.
drei unbeteiligte menschen sind tot, weil andere menschen ohne nachzudenken ein gebäude angezündet haben.
ich unterstelle keine absicht. aber ich unterstelle mangelnden spürsinn für den einsatz von brandbomben und völlig uferlose, unübersichtliche massenmilitanz.
es mag sein, dass in griechenland, der gebrauch von molotovcocktails zum guten ton auf radikalen demos gehört: das gibt tolle fotos (die auch auf mich eine faszination ausüben). aber welchen revolutionären zweck erfüllt das werfen einer brandbombe in einer situation, die so unübersichtlich wie eine straßenschlacht ist? wenn ich mir bilder, videos und berichte aus griechenland der letzen zwei jahre anschaue, denke ich nun: ein wunder, dass das nicht schon früher passiert ist.
ich hasse die institution polizei, aber als ich das foto des brennenden polizisten in athen sah, wurde mir anders zumute: was passiert hier? ist es das, was ich will, wenn ich von der revolution spreche? will ich tote menschen? muss ich sie in kauf nehmen? sprechen nun auch wir von kollateralschäden? wo gehobelt wird, da fallen spähne?
ich will keine toten polizist_innen, politiker_innen, soldat_innen, demonstrant_innen, revolutionär_innen oder angestellte einer bank.
aber lässt sich das vermeiden? ist die forderung nach der revolution realistisch, wenn mensch keine toten in kauf nehmen will? sicher, es gibt geschichtliche beispiele für (fast) gewaltfreie umwälzungen: indien, die ddr, etc. aber das waren keine totalen umstürze, es waren punktuelle veränderungen, die nicht in die richtung gingen, die ich will.
ist es realistisch anzunehmen, dass die mächtigen ihre macht ohne blutvergießen aufgeben? wofür haben sie ihre polizeien, armeen, geheimdienste, rüstungsfirmen, waffen, überwachungsapparate, grenzen und gefängnisse?
ich will die totale revolution. ohne tote. muss ich nun aufgeben? bin ich naiv? vom warmen, angenehmen leben im kapitalismus, in deutschland verweichlicht?
ich glaube, dass wir unsere forderungen, unser handeln und nicht handeln viel stärker reflektieren müssen. militanz, die eine eigendynamik entwickelt, die nur um ihrer selbst willen geschieht, ist zum scheitern verurteilt. wird zum event, zum ritual, zur pose und leeren hülle.
militanz, die drei menschen tötet, befindet sich in einer engen sackgasse.
auf der anderen seite kann ich die täter_innen nicht als mörder_innen bezeichnen. ich unterstelle keine absicht oder planung, angestellte eines symbols für den kapitalismus, zu ermorden.
wie gehen die menschen in der griechischen szene mit den täter_innen um? wie gehen wir alle mit ihnen um? wie stehen sie selbst zu ihrer tat? werden sie sich stellen? wollen wir, dass sie das tun? mit dem wissen, dass sie sich dafür vor dem bürgerlichen gericht verantworten müssen und ins gefängniss gehen werden?
griechenland befindet sich im ausnahmezustand.
wut, hass, entäuschung, resignation, hoffnung, aufbruchstimmung, angst und gewalt kommen zu tage.
gier, rücksichtslosigkeit, macht, korruption und unmenschlichkeit auf seiten der mächtigen sind verantwortlich für den zustand des landes. der kapitalismus at it’s best.
verantwortlich für die toten sind die, die die bank angezündet haben. egal unter welchen umständen.
aber wie geht’s weiter?