no tav italien: sie schossen auf unsere beine. sie wissen nicht, dass wir schon zu fliegen gelernt haben!

[dieser text ist eine übersetzung von mir. die englische version findet ihr hier und hier.]

bekanntmachung von mailänder notav genoss_innen zu den festnahmen vom 09.12.2013

zu den festnahmen wegen „terrorismus“ gegen no tav

notav_siamoam montag, den 9.12.2013, wurden aufgrund von haftbefehlen, erlassen von den turiner staatsanwält_innen paladina und rinaudo, in turin und mailand durchsuchungen durchgeführt und vier genoss_innen festgenommen. die angeführten gründe sind die angriffe gegen die tav-baustelle in chiomonte, die in der nacht vom 13. auf den 14.05.2013 stattgefunden hatten. die genauen anschuldigungen wiegen schwer: artikel 280 und 280-bis („angriff mit terroristischen zielen, terroristischer akt mit tödlichen waffen und sprengstoffen, besitz von kriegswaffen, zerstörungen“)

viele menschen werden sich noch daran erinnern, als unbekannte in der nacht erschienen, enorme schäden auf der baustelle anrichteten und auf die gleiche art verschwanden, wie sie kamen. und genau darauf bezog sich eine öffentliche versammlung, einberufen von der no tav bewegung in bussoleno, die die sabotage, als eine mögliche praxis, nützlich und notwendig für den no tav kampf, bezeichnete.
klassiker der gewaltfreien aktion (captini, ghandi, mandela) wurden zur unterstützung der sabotage herangezogen, während andere verschiedene kampfformen in erinnerung riefen, von denen der menschen unter militärischer besatzung bis zu den aktionen gegen atomkraft, von den partisan_innenkämpfen bis zu den wichtigen erfahrungen der arbeiter_innenbewegung.

obwohl die medien daraus terrorismus inszenierten, hörten die sabotageakte nicht auf. sie erhielten weitverbreitete sympathien in ganz italien. die letzten ereigneten sich vor ein paar tagen zum schaden von einigen beteiligten firmen in turin. verschiedene journalist_innen, meinungsmacher_innen, politiker_innen und staatsanwält_innen (samt dem nichtkleinzukriegenden anführer caselli) beteten ihre litanei vom terror herunter, informierten über das „risiko eines qualitativen sprungs“, stellten vergleiche zu den „bleiernen jahren“ an und schwafelten so weiter. natürlich wurden die „schlechten lehrer_innen“, die „spelunken“und „geheimen flugblätter“ nicht ausgelassen, die in wahrheit harmlose romanautor_innen, kneipen und texte, die öffentlich während den demonstrationen verteilt wurden, waren.

was folgte: die eröffnung der prozessakten unter dem gesichstpunkt des terrorismus gegen no tav aktivist_innen im tal (mit den oben erwähnten durchsuchungen), gut beworbene treffen der „anti-terrorist_innen-pools“ der büros der staatsanwält_innen aus den verschiedenen städten und heute die handschellen. die benutzung des begriffs „terrorismus“ zielt darauf ab, die bewegung zu schwächen, die menschen von den kämpfen abzuspalten und diese als eine weit entfernte realität, unfassbar und unglaublich gewalttätig, darzustellen. dieser begriff beschwört eine ganze welt herauf. es geht darum, ihn über ihnen einstürzen zu lassen. im fadenkreuz stehen nicht nur vier selbstlose genoss_innen, die wir alle kennen und lieben, sondern der ganze kampf im tal.

das potential dieses kampfes voranzubringen, ist unsere antwort.

‘a sarà düra. (sinngemäß: es wird hart.)
genoss_innen aus mailand

falls ihr nachrichten der solidarität an die genoss_innen schreiben wollt:
chiara zenobi, mattia zanotti, niccolò blasi, claudio alberto
c.c. via maria adelaide aglietta 35
10151 torino, italia

(*im original „this term recalls a whole world“: weiß da jemensch eine sinnvolle übersetzung für „recall“? hat sich dank eines indymedia linksunten kommentars erledigt. danke.)

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radioactive people: das anarchistische radio berlin

a-radioberlinheute wurde der novemberrückblick des anarchistischen radios berlin online gestellt. ich höre mir ja jeden monat ihre sendung an und finde immer wieder beiträge, die mich fesseln und mir zeigen, dass anarch@s echt überall auf der welt aktiv sind. dazu gibts im aktuellen rückblick passend zu meiner letzten übersetzung „yolandas folgen – autonome initiative“ einen bericht über die mobile anarchist school in manila und ihre projekte. auf der website findet sich auch eine direkte bankverbindung, an die ihr für die schule spenden könnt:

Kon­to­ver­bin­dung für Spen­den:
Bank: Bank of the Phil­lip­pi­nes Is­land (BPI)
Adres­se der Bank: Mon­til­la­no St., Ala­bang, Mun­tin­lu­pa City, Phil­ip­pi­nes
Kon­to­in­ha­ber*in: Te­re­si­ta P. Pe­rey­ra
Kon­to­num­mer: 5836 4603 34
SWIFT-​Code: BO­PIPHMM

des weiteren finden sich historische und aktuelle berichte und gerade das finde ich am a-radio generell gut, dass sie eine passende mischung aus beidem hinbekommen und dabei kritisch hinschauen, mal ernst, mal mit spaß.

es lohnt also, sich einmal im monat  für 30 minuten zeit zu nehmen und den rückblick des anarchistischen radios berlin anzuhören. ich mach das meistens während des geschirrspülens…

 

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ortenau fast hundertprozentig vegan!

Burger-Kingzumindest legte dies ein artikel im allseits beliebten stadtanzeiger nahe: „Die beiden Fälle (von Tierquälerei; nigra) hatten hohe Wellen geschlagen: Gleich zwei Mal waren dieses Jahr in der Ortenau Tiere gequält worden“. cool, dachte ich, nur zwei fälle von tierquälerei.

als ich dann weiter las, wurde schnell klar, dass die ortenau doch nicht zu einem veganen schlaraffenland geworden war. die beiden ausnahmefälle von tierquälerei waren nicht die letzte massentierhaltung, ein illegaler tiertransport, ein letzter zirkus mit wildtieren, eine heimliche haustierentsorgung, der untergrundschlachthof, ein klandestines reitturnier oder verbotene tierversuche, sondern zwei fälle, in denen jemensch

„einem Wirbeltier

a) aus Rohheit erhebliche Schmerzen oder Leiden oderb) länger anhaltende oder sich wiederholdene erhebliche Schmerzen oder Leiden“

(§17 tierschg)

zugefügt hat.

einmal hatte ein junger mann ziegen in einem freigehege so stark verletzt, dass sie eingeschläfert wurden. im anderen fall hatte eine frau pferde mit säure verletzt. auch hier wurde ein tier eingeschläfert.

nun wird im artikel vom autor und einem oberpsycholigierat der polizei überlegt, ob die taten „schnöde Rache oder einfach krankhaft“ waren.
dass solchen taten psycohlogische störungen zugrunde liegen können, ist bekannt. auch aus rache handeln manche menschen brutal gegen andere lebewesen. aber das sind im vergleich zum älltäglichen leid der tiere einzelfälle.

was mich an diesem artikel ärgert, ist die mir ins gesicht schlagende ignoranz all den tieren gegenüber, die jeden tag leiden und sterben. warum ist die ziege im freigehege oder das pferd im stall besonders schützens- und erwähnenswert, die im offenburger schlachthof ermordeten 60.000 schweine und 2.500 rinder aber nicht? die für mich nicht nachvollziehbare unterscheidung zwischen haustier und nutztier scheint sich hier wieder mal zu zeigen. einem tier, zu dem mensch eine beziehung hat, fügt er/sie weniger leid zu, als einem tier, das im weit entfernten schlachthof getötet wird, damit mensch ein leckeres schnitzel essen kann. sprich, während egon seinen bello krault, kann er sich ohne gewissensbisse eine currywurst reinziehen.

das tierschutzgesetzt ist teil des bürgerlichen gesetzbuches und eher ein tiernutzungsgesetz. es regelt, was wir alles mit tieren machen dürfen und was nicht und bleibt dabei so schwammig und vielseitig, dass jeden tag millionen tiere in deutschland gequält und ermordet werden dürfen. auch hier erfüllt der staat seine aufgabe, nämlich eigentum zu schützen und so das kapital zu stützen. tiere sind eigentum, sind kapital, ware, fleisch, geld. dafür darf dann schon mal ein bischen gequält werden…

eine vegane gesellschaft ist im kapitalismus nicht umsetzbar, da so ziemlich alles, auch die tiere, zur ware werden musste.

aber genauso wie ich im hier und jetzt für den anarchismus eintrete, setze ich mich auch für den veganismus ein. für ein weniger falsches leben im falschen. kapitalismus niederbrennen.

go vegan.

 

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mit der kuh auf du und du…muh!

mad-cow-pathogen deutschtja, auch anarchist_innen und veganer_innen werden manchmal krank und stehen dann in der apotheke und warten darauf, dass ihr (hoffentlich veganes) medikament endlich gefunden wird. da das diesmal sehr viel zeit in anspruch nahm, schaute ich mich im medizinladen um und entdeckte ein umfangreich bestücktes info-regal. hauptsächlich werbeflyer und broschüren der pharmaindustrie, so à la „schizophrenie – was nun?“ und „die prostata – aufgaben und erkrankungen“. mir fiel besonders eine flugschrift ins auge, da auf ihr eine flasche milch abgebildet war. da wird der veganer in mir hellhörig und aufmerksam. der titel war ein poetischer hochgenuss: „mit der kuh auf du und du.“ das reimte sich und was sich reimt ist gut, oder?

bei genauerem hinsehn stellte sich der flyer als werbung für ein laktose-intoleranz-mittel heraus. das sind so mittel, die es menschen ermöglichen, kuhmilch zu konsumieren, obwohl sie sie nicht vertragen: sie würden mit blähungen, übelkeit, kotzen, chronischer müdigkeit, schlechter laune, unruhe und vielem mehr reagieren. die ursache ist, dass mit der entwöhnung von der muttermilch auch die produktion des milchzuckerabbauenden enzyms laktase nahezu eingestellt wird. etwa 75 % der erwachsenen menschen weltweit haben eine laktose-intoleranz. wobei das wort „intoleranz“ hier mehr als fehl am platz ist, da es ja gar nicht vorgesehen ist, dass sie artfremde muttermilch nach dem säuglingsalter zu sich nehmen. es spricht ja auch niemand von zyankali-intoleranz oder crack-intoleranz. manche stoffe sollte mensch halt einfach besser meiden. der vollständigkeit halber sei erwähnt, dass vor etwa 7500 jahren im heutigen österreich und ungarn, wo intensiv viehwirtschaft betrieben wurde, eine mutation bei den dort lebenden menschen auftrat: sie führte dazu, dass die laktose-intoleranz abnahm. das scheint was mit den schlechteren sonnenlichteinflüssen und der vitamin-d-versorgung zu tun gehabt zu haben. je weiter südlich wir uns bewegen, desto höher wird die sonneneinstrahlung und die laktose-intoleranz bei menschen (eine ausnahme bilden die nachfahren der sträflingskolonist_innen in australien).

nun halte ich diese laktose-intoleranz-umgehungs-geschichte an sich nicht für weiter verwerflich (abgeshen von ihrem unveganem charakter), schließlich haben wir uns in etlichen anderen bereichen ja auch vom naturzustand entfernt: wir nutzen unzählige errungenschaften der zivilisation, um uns das leben angenehmer zu machen oder unserem puren hedonismus zu fröhnen. das ist nicht immer gesund und die folgen auch nicht.

was mich als vegan lebender mensch an diesem flyer abstößt ist der titel: „mit der kuh auf du und du.“ mit wem bin ich auf „du und du“? normalerweise mit menschen, die mir nahe stehen, die ich mag, mit freunden, bekannten und verwandten. wenn wir uns mal die hiesige milchwirtschaft anschauen, egal ob bio oder konventionell, wird uns schnell klar, dass hier kein platz für ein „du“ ist. auch wenn der biobauer erwin seinen 34 kühen noch namen gibt, dienen sie, genau wie beim industriehof, nur einem zweck: milch zu produzieren, kälber zu gebären und fleisch zu werden. die kuh ist ware wird geld wird kühe werden waren werden geld… zusätzlich zu diesem banalen, aber fatalen kapitalistischen kreislauf muss ich als vegan lebender mensch das leid der kuh in den vordergrund stellen. wo ist hier das persönliche, zärtliche „du“? wo ist hier eine beziehung? sie beruht auf herrschaft, ausbeutung, schmerz und mord. dieses unglaublich zynische herstellen einer netten beziehung überblendet ihren wahren charakter und erinnert mich an die wandbilder an vielen metzgereien: sie zeigen lachende schweine und zufriedene kühe und suggerieren einen zustand, den es nicht gibt: das tier begibt sich gern, freiwillig und fröhlich in den tod. sie kaschieren das leid und die schmerzen der geschändeten individuen. und viele sind zufrieden damit. ich nicht.

die milchflasche steht auf einer blumenwiese, an sie gelehnt ist ein glas mit milch. mit der kuh auf du und du…

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yolandas folgen und autonome initiative (philippinen)

[diesen text habe ich aus dem englischen übersetzt. den originaltext findet ihr hier. natürlich habe ich das ganze nicht nur zum selbstzweck getan, sondern auch mit der aufforderung, der autonomen initiative geld zu spenden. meldet euch hierfür direkt bei aschool(at)riseup.net]

yolanda ist einer der zerstörerischsten taifune, die die philippinische inselgruppe heimgesucht haben. er schlug auf die region visaya ein, teilweise leyte und einige teile von cebu und panay. der supertaifun yolanda ließ die inselgruppe mit tausenden von toten, zerstörten geschäfts- und wohnhäusern und stromausfällen zurück. landwirtschaft und existenzgrundlagen wurden weggeschwemmt, was milliardenverluste verursacht. die zerstörung ist so umfangreich, dass sie sich unvorstellbar auf die überlebenden auswirken wird.

die reaktion der regierung verursachte bei der bevölkerung mehr verwüstung

die philippinische inselgruppe wird von katastrophen, die durch stürme verursacht werden als erstes getroffen. das ist allgemeinwissen, unmöglich zu übersehen, ganz besonders nicht von der regierung, von der angenommen werden sollte, dass sie die autorität in sachen vorbereitung und wiederherstellung sei. die große zahl von toten verteilt in leyte ist der unfähigkeit der regierung geschuldet, vorbereitende maßnahmen zu treffen, die opferzahlen so gering wie möglich zu halten. die philippinische regierung hat nichts gelernt aus unseren erfahrungen mit sturmflutverwüstungen.

berichte über plünderungen und gewalt in tacloban city und anderen gemeinden zeigen die auswirkungen einer dreckigen politik, gleichgültigkeit und korruption. die unfähigkeit der regierung, systematische und effektive reaktionen zu zeigen, brachte die menschen dazu, gewalttätig zu werden. der lebensmittelmangel ist nicht das hauptproblem. die aufmerksamkeit der ganzen welt ist seit den letzten wochen auf die philippinen gerichtet. die spenden und unterstützung in form von geld, naturalien und dienstleistungen sind überwältigend.

schiffe vollgeladen mit gütern liegen in reihen in den häfen von cebu und manila. milliarden (hier ist wohl in philippinischen pesos gerechnet. 1 € = 60 php; der übersetzer) ergießen sich in die bankkonten der regierung und medienkonzerne. ungeachtet dessen rangeln die opfer miteinander, um essen zu bekommen. das gefühl des mangels und der lebensmittelunsicherheit brachte die menschen dazu, gewalttätig zu handeln.

diese katastrophe ist eine der verheerendsten, deren zeugin die weltweite gemeinschaft wurde. der geist der solidarität ist herzerwärmend und sehr effektiv, was die bergung und wiederherstellung angeht, aber die korrupten praktiken der regierung untergruben diese solidarität. zwei wochen nach dem entsetzlichen ereignis sind die menschen in leyte immer noch hungrig, obdachlos und auf der suche nach medizinischer versorgung. nutzlose und gefährliche materialien gibt es überall. die preise von bedarfsgütern, wie z.b. lebensmittel und medizin, stiegen fast um das doppelte. die unzureichende stromversorgung ist ein lukratives geschäft, welches die opfer ausbeutet. lokale unternehmen boten den leuten ladeservices für deren notlampen und handys zu überteuerten preisen an.

grundsätzlich ist die unfähigkeit der regierung, schnell und angemessen zu reagieren, viel verheerender.

in diesem zusammenhang hat die mobile anarchist school sich entschieden zu handeln und führte direkte aktionen durch. wir setzten eine aktion an, die sich dem korrupten einfluss der regierung entziehen konnte. wir baten um unterstützung vom local autonomous network (lan), unabhängigen kollektiven und gruppen und internationalen netzwerken.

strom ist der knackpunkt, wenn es um prozesse des wiederaufbaus und der bergung geht. also fokusierten wir unsere anstrengungen, um ein 150-watt-photovoltaik-system zu vervollständigen, um der gemeinde für ihre notlampen, taschenlampen und handys einen kostenlosen aufladeservice anzubieten. nachdem wir eine woche um unterstützung gerungen hatten, konnten wir ein 160-watt-photovoltaik-panel, ein 10-amper-photovoltaik-kontroll-ladegerät, einen 500-watt-dc-ac-wandler und eine 12 volt/50 amper-starter-batterie zusammenstellen.

reisen zwischen den inseln

autonomous initiative journeyam 20. november begannen wir mit der reise. unser team mit vier freiwilligen reiste vollgepackt mit verpflegung für eine woche. wir richteten auch hilfsgüter-pakete für 15 familien. wir stellten sicher, dass unsere ausrüstung funktionsfähig und in gutem zustand ist. eine busreise ist der einfachste und billigste weg, um nach leyte zu kommen. wir verließen cubao quezon city um 9 uhr morgens und befuhren die straße, die manila, laguna und quezon miteinander verbindet. dann nahmen wir die fähre, um das meer zwischen sorsogon und samar zu überqueren.

während der reise sahen wir die massive verwüstung in vielen gemeinden in leyte. yolandas ansturm begann direkt nachdem wir san juanico überquerten, eine brücke, die samar und leyte verbindet. die situation in tacloban ist relativ ruhig. die menschen versuchen übriggebliebene, nützliche materialien zu sammeln und zu verwerten, um ihre häuser auf der rückseite der stark zerstörten stadt wieder aufzubauen. da wir keine reisemöglichkeit mit einem öffentlichen verkehrsmittel finden konnten, mieteten wir einen teuren geländewagen, um zur gemeinde von san miguel zu gelangen. wir erreichten barangay libtong, san miguel am 21. november um vier uhr nachmittags.

der einsatz des photovoltaikladegeräts

tag 1

unser eigentlicher einsatz begann am 22. november. wir luden mindesten 40 taschenlampen und handys auf und hatten noch mehr, die wir am folgenden tag aufladen wollten. wir führten informelle gespräche mit den familien und ließen sie von ihrem unglück, ihrem kummer und ihren schwierigkeiten erzählen. unglücklicherweise ging unser plan, kostenlose telefongespräche und internetverbindungen anzubieten, nicht auf, da es an netzwerksignalen mangelte.

tag 2

sonnenlicht war wegen des tiefdruckgebiets, das regen brachte, selten. wir entschieden uns, den einsatz zu beenden, um unsere batterie für effektive aufladeeinsätze aufzuladen. wir arrangierten interviews und diskussionen mit leuten vor ort und den beamt_innen von barangay, um daten zu sammeln. mehr telefone und handys wurden gebracht, um aufgeladen zu werden. ab dem nachmittag nahmen wir keine mehr an und baten die menschen, später wiederzukommen, da wir nur sehr begrenzte mengen aufnehmen konnten.

tag 3

wir beginnen wieder mit dem aufladeeinsatz. mehr menschen kommen und warten darauf, bedient zu werden. gut, dass die sonne den ganzen tag über schien und wir in der lage waren, über 30 einheiten aufzuladen. wir reduzierten die anzahl der einheiten, um eine unterspannung (?) zu vermeiden. wir beobachteten die verteilung von hilfsgütern durch beamt_innen von barangay und die philippinische luftwaffe.

tag 4

wir akzeptieren weiterhin telefone und taschenlampen, aber wir können nur eine begrenzte anzahl aufladen. die kapazität unserer photovoltaikanlage kann nur 30 einheiten am tag versorgen. so vermeiden wir das entleeren unserer batterie.

tag 5

wir führten eine anleitung für lokale freiwillige durch, die unsere photovoltaikausrüstung instandhalten und den aufladeservice weiterhin anbieten werden. wir stellten sicher, dass die freiwilligen, den einfachen prozess des einsatzes und der aufrechterhaltung des kostenlosen aufladeservices lernten.

wir wollen unbedingt nach ormoc city reisen. von dort aus nehmen wir die fähre nach cebu, von wo aus wir mit dem flugzeug nach manila fliegen werden. wir müssen pünktlich in quezon city sein, da wir eine klimakonferenz mit einem evangelischen netzwerk haben.

zukunftswege

die inkompetenz und korruption in der regierung erwies sich als verheerender, als der supertaifun selbst. wir rufen die menschen, die kollektive, den privaten sektor und die autonomen netzwerke dazu auf, direkt zu handeln. vermeidet den regierungsprozess, weil güter und nachschub nur in vorratsdepots landen, zu denen nur die behörden zugriff haben. es gibt viele berichte über unregelmäßigkeiten. wir wurden zeug_innen, wie die behörden die grundversorgungsgüter zu ihren eigenen zwecken kontrollieren. tausende reissäcke und güter werden von den behörden zurückgehalten und nur in kleinen einheiten an die familien ausgegeben, die keinen zugang zu den grundversorgungsgütern haben.

wir für unseren teil würden gerne unsere photovoltaikanlage mit einem 300 wattpanel, einem 30 amper-photovoltaik-kontroll-ladegerät, einem 2500 watt-dc-ac-wandler und zwei versorgungsbatterien aufstocken, um mehr handys und taschenlampen aufnehmen zu können. wir werden ein photovoltaik guerilla autonomes reaktions team organisieren, das bei jeder katastrophe und jedem stromausfall sofort reagieren wird.

in der ersten dezemberwoche planen wir, ein camp zu organisieren, das hilfgüter, medizinische einsätze und stressaufarbeitung anbietet. der umfang des einsatzes wird von der unterstützung und der teilnahme von direkten und ausgedehnten netzwerken abhängen.

für anfragen oder spenden, die diese initiatve betreffen, meldet euch bitte beiaschool(at) riseup.net

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bücher lesen

„der sieg des kapitals – wie der reichtum in die welt kam: die geschichte von wachstum, geld und krisen“ von ulrike herrmann.

ulrike herrmann, einigen vielleicht bekannt als taz-autorin zum thema wirtschaft, liefert mit ihrem neuen buch „der sieg des kapitals“ einen lesenswerten blick auf den kapitalismus, seine entstehung, entwicklung und gegenwart.

das buch gliedert sich in eine einleitung , vier hauptteile und einen kurzen ausblick auf den untergang des kapitals.

im ersten teil, „der aufstieg des kapitals“, geht herrmann zurück bis zu den ersten hochkulturen der menschheit, ägypten, rom, china und anderen, schlägt einen bogen über das europäische mittelalter bis hin zum genauen datum der entstehung des kapitalismus im 18. jahrhundert im norden englands. sie beschreibt, warum die wirtschaft, obwohl es schon viele der heutigen finanzwerkzeuge und handelsmethoden gab, weder im alten rom, noch in den chinesischen kaiserreichen und dem mittelalter nennenswert wachsen konnte und warum sie es plötzlich in manchester ab dem jahre 1760 tat. und das rasant. es wurden menschen durch maschinen ersetzt und zwar durch webstühle.

im zweiten teil, „drei irrtümer über das kapital“, erklärt sie, dass die viel zitierte marktwirtschaft nichts mit kapitalismus zu tun hat, dass staat und kapitalismus sich bedingen und es schon immer die globalisierung gab, wenn auch in unterschiedlicher geschwindigkeit. so nahm allein durch die erfindung der telegrafie die übertragungsgeschwindigkeit von nachrichten um den faktor 10.000 zu. und wer nutzte die moderne kommunikationsform als einer der ersten? banken und börsenbroker_innen.

im dritten teil, „kapital versus geld“, nähert herrmann sich der frage an, was denn geld überhaupt ist und macht deutlich, dass geld ungleich kapital ist. geld ist eine „soziale übereinkunft“, kapital aber ist der greifbare reichtum an dienstleistungen und waren, die eine gesellschaft herstellt. kurz geht sie auf den wert von gold ein, der nur darauf beruht, dass menschen ihm einen geben. einen wirklichen nutzen hat das edelmetall kaum. die angehäuften vorräte verstauben in tresoren. sie zeigt, dass schulden und zinsen im kapitalismus sinn machen. vor dem kapitalismus war das ganze wirtschaften ein nullsummenspiel: was die eine seite verlor, gewann die andere. es kam nichts dazu. erst durch den wachstum kam es zu einer „win-win-situation“. kapitalismus ohne schulden, also ohne kredite, sei nicht denkbar. hier packt sie den anarchisten und occupyaktivisten david graeber am kragen und behauptet, dass heutige ausbeutung nicht auf schuldknechtschaft beruht, sondern auf unggleichen löhnen und ungleichen bildungschancen, die es zu bekämpfen gilt. auch an den zinskritiker_innen wie margaret kennedy lässt sie kein gutes haar: wie kann der zins die wurzel allen heutigen übels sein, wenn schon die alten mesopotamier_innen wussten wie der zinseszins berechnet wird und ihn auch verlangten? in ihrer kultur gab es zinsen aber so gut wie kein wachstum. die beiden letzten kapitel des dritten teils beschäftigen sich mit der inflation und der spekulation. schon im 17. jahrhundert blähten sich die ersten spekulationsblasen auf: die neu aus der türkei importierten tulpen entfachten einen unglaublichen run bis eine tulpenzwiebel mehr als 4600 gulden kostete. das entsprach dem wert von 40 fetten ochsen. als die ersten anleger_innen wieder zu sinnen kamen und ihnen dämmerte, dass eine tulpenzwiebel eine tulpenzwiebel eine tulpenzwiebel ist und bleibt, platzte die blase.

der letzte teil „die krisen des kapitals“ hangelt sich von den ersten krisen über die erste weltwirtschaftskrise von 1929 bis zu den gegenwärtigen eurokrisen. hier zeigt herrmann, dass sie den kapitalismus nicht abschaffen , sondern reformieren will und gibt dafür auch viele tipps und anleitungen, wie zukünftige krisen verhindert oder abgemildert werden könnten. abgesehen davon erklärt dieser letzte teil sehr gut, wie krisen entstehen und wer gerade von den aktuellen super profitiert und alles dafür tut, dass es auch so bleibt.

das letzte kapitel, das ich mit der größten spannung erwartete, „ausblick: der untergang des kapitals“ , ist dann sehr kurz ausgefallen. gerade mal neuen seiten widmet herrmann dieser doch eigentlich spannendsten aller fragen: wie lassen wir die ganze scheiße hinter uns und bauen eine welt ohne unterdrückung, umweltzerstörung und armut auf. andererseits hat ja niemand wirklich einen plan, wie wir vom ist-zustand zum soll-zustand kommen. diese krux wurde noch nicht gelöst. herrmann tut aber alle versuche und projekte, die es so weltweit gibt, mit einem lapidaren „es wird sich ein neues system herausbilden, das heute noch nicht zu erkennen ist.“ ab. das ist mir zu wenig. begriffe wie eigentum, selbstverwaltung, herrschaft oder gar soziale revolution kommen erst gar nicht vor.

die große stärke des buches ist für mich die gute lesbarkeit und der historische blick auf den ganzen wahnsinn. er ist oft garniert mit anektdoten, geschichten und beispielen, so dass der wahnsinn plastisch und nachvollziehbar wird. dennoch wirkt das buch auf mich immer wieder wie eine verteidigungsrede für den kapitalismus: zu selten stellt sie seine widerwärtigkeiten und seine unmenschlichkeit heraus. so gesteht sie ihm zu, dass er den hunger besiegt hätte, nur weil er überfluss, z.b. in form von „milchseen“ und „butterbergen“ produziert. aber die absolute menge der nahrungsmittel, die ja wirklich für alle reichen würde, sagt noch nichts über deren verteilung aus. und das ist ja ein hauptproblem des kapitalismus: der vorhandene reichtum konzentriert sich bei den reichen dieser erde, die die produktionsmittel, sprich kapital besitzen. hungerleider_innen sind keine konsument_innen, tragen nicht zum wachstum bei und sind darum uninteressant.

alles in allem trotzdem ein buch mit vielen stärken und aha-momenten. herrmann wollte den kapitalismus, bzw das kapital, beschreiben und das ist ihr für mich gelungen.

vielleicht schreibt sie noch einen teil 2: „die folgen des kapitalismus – wie die armut und der klimawandel in die welt kamen“…

Hermann_Der_Sieg_des_Kapitals_01der sieg des kapitals – wie der reichtum in die welt kam: die geschichte von wachstum, geld und krisen
ulrike herrmann
westend verlag
isbn 978-3-86489-044-4

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alles für alle und zwar umsonst… freie software und anarchismus

Die Freie-Software-Bewegung ist die radikale, anarchistische Kritik an der heutigen Ordnung des geistigen Eigentums, nicht nur in der liberalen Gesellschaft Amerikas, sondern an dessen Ordnung in der ganzen globalisierten Welt.“
[aus „die anarchie der hacker – richard stallman und die freie-software-bewegung“ von christian imhorst]

gnulinux anarchistsmein erster bewusster kontakt mit freier software wurde aus der not heraus geboren: nach einer hausdurchsuchung vor einigen jahren und der damit einhergehenden beschlagnahme unseres unverschlüsselten wohngemeinschaftscomputers, begann ich mich als absoluter computerlaie mit datensicherheit und verschlüsselung zu beschäftigen. ich wollte für zukünftige besuche unserer freund_innen und helfer_innen gewappnet sein und der staatsmacht den zugang zu meinen daten erschweren, ja unmöglich machen. so kam ich bald zum gnu/linux-betriebssystem ubuntu, das von haus aus auf der alternate-installations-cd eine verschlüsselung des gesamten systems anbietet. innerhalb weniger tage stieg ich komplett auf ubuntu um (inzwischen nutze ich das freiere debian) und kam so in den genuss eines sicheren systems, das es mir mit seinen unzähligen programmen und angeboten ermöglichte, verschlüsselt zu mailen und zu chatten und meine daten vor dem zugriff dritter effizient zu schützen.
erst nach und nach wurde mir klar, dass mir mit gnu/linux ein betriebssystem auf der festplatte lag, das durch die philosophie der freien software und die arbeitsweise ihrer community viele anknüpfungspunkte zum anarchismus hat.


geschichte der freien software

Ich tendiere mehr zu der linken anarchistischen Idee, daß wir uns freiwillig zusammensetzen und ausdenken sollen, wie wir durch Zusammenarbeit für alle sorgen können.”
[richard stallman]

die geschichte der freien software reicht bis in die 1960er jahre zurück und ist eng mit dem namen richard stallman verbunden. stallman ist nicht der erfinder der freien software. software war bis ende der 1960er jahre grundsätzlich, wenn auch nicht absichtlich, frei. d.h., dass ihr von menschen lesbarer quellcode jeder person zugänglich war. sie folgte der akademischen überzeugung, dass wissen offen zugänglich sein sollte, da nur so wissenschaftliches arbeiten möglich war. programmierer_innen und wissenschaftler_innen teilten frei und ungezwungen den quellcode jeglicher software. desweiteren war die software bis dahin eher ein beiwerk zur teuren hardware.
stallman war der erste, der die problematik der sich immer mehr ausbreitenden unsitte der geschlossenen, proprietären software erkannte, benannte und anprangerte. gleichzeitig begann er, sich bewusst mit der gesellschaftlichen, kulturellen und ökonomischen dimension von quelloffener software zu beschäftigen. nachdem er im jahr 1984 das gnu-projekt gegründet hatte, folgte ein jahr später die free software foundation (fsf), die seither weltweit für freie software und gegen z.b. softwarepatente oder das digital rights management (drm) kämpft.
als dann im jahr 1991 der finnische student linus torvalds die erste version des betriebssystemkerns linux veröffentlichte, diese später unter die gpl-lizenz stellte und in den folgenden jahren das internet rasant an fahrt gewann, waren der entwicklung freier software kaum noch grenzen gesetzt. tausende von menschen programmierten, was das zeug hielt und schufen viele nützliche anwendungen. heute existieren weit über hundert verschiedene gnu/linux-distributionen, vom einsteiger_innenfreundlichen ubuntu bis hin zum hochspezialisierten scientific linux, das unter anderem im forschungszentrum cern anwendung findet. hinzu kommen abertausende von einfachen und hochkomplexen anwendungen.
in der geschichte der freien software wird die ablehnung von geheimwissen und geistigem eigentum deutlich. so wurde bewusst das erlangte wissen für alle offen zugänglich gemacht oder auf anfrage weitergereicht und bei problemen gemeinsam an deren lösung gearbeitet. solidarisches handeln war eine selbstverständlichkeit. und so wird es auch heute noch gehandhabt.


die definition freier software

freie software unterliegt einer klaren definition, die in vier freiheiten (0-3) gegliedert ist:

Ein Programm ist freie Software, wenn Nutzer des Programms die vier wesentlichen Freiheiten haben:

  • Die Freiheit, das Programm für jeden Zweck auszuführen (Freiheit 0).
  • Die Freiheit, die Funktionsweise des Programms zu untersuchen und eigenen Bedürfnissen der Datenverarbeitung anzupassen (Freiheit 1). Der Zugang zum Quellcode ist dafür Voraussetzung.
  • Die Freiheit, das Programm weiterzuverbreiten und damit seinen Mitmenschen zu helfen (Freiheit 2).
  • Die Freiheit, das Programm zu verbessern und diese Verbesserungen der Öffentlichkeit freizugeben, damit die gesamte Gemeinschaft davon profitiert (Freiheit 3). Der Zugang zum Quellcode ist dafür Voraussetzung.“
    [ https://www.gnu.org/philosophy/free-sw.de.html ]

gesellschaftlich besonders interessant sind hier die freiheiten zwei und drei: „…und damit seinen Mitmenschen zu helfen“ und „…damit die gesamte Gemeinschaft davon profitiert“. hier wird das prinzip der solidarität, der gegenseitigen hilfe deutlich, das also in der definition von freier software schon fest verankert ist.
der oftmals synonym benutzte begriff open source software ist auf rein technischer basis deckungsgleich mit freier software. die dahinterstehende philosophie legt aber keinen wert auf den begriff der freiheit, klammert diesen sogar absichtlich aus, um niemanden zu verschrecken. die vertreter_innen der freien-software-bewegung argumentieren, dass es aber diesen begriff der freiheit braucht, um das wesen der sache zu verdeutlichen und politische bedeutung zu behalten.
des weiteren gibt es die sogenannte freeware. diese ist zwar kostenlos, aber ihr quellcode ist meist geschlossen und proprietär.


auch freie software unterliegt lizenzen

„lizenzen? was kümmern mich die? als anarchist_in nutze ich halt gecrackte proprietäre programme.“ das ist eine verständliche und von vielen praktizierte herangehensweise. vielleicht auch mit dem hintergedanken, dass mensch microsoft und co eins auswischen würde. oder einfach aus bequemlichkeit und gewohnheit heraus.
also, wofür braucht eine freie software bewegung lizenzen? sind lizenzen nicht per se einschränkungen von nutzungsmöglichkeiten? nicht im fall der lizenzen, die für freie software entwickelt wurden. sie garantieren den fortbestand der gewährten freiheiten innerhalb des bürgerlichen rechtsstaates und der kapitalistischen verwertungslogik.

hier ein paar beispiele:

die lizenz gpl
„Die GNU General Public License – die Allgemeine Öffentliche GNU-Lizenz – ist eine freie Copyleft-Lizenz für Software und andere Arten von Werken.“
[http://www.gnu.de/documents/gpl.de.html]

die gpl ist sicher die bekannteste lizenz, die das copyleft garantiert. formuliert wurde sie 1989 von richard stallman für sein gnu-projekt, um zu sichern, dass die darin enthaltene software frei bleibt.

die copyleftklausel
„Copyleft ist eine allgemeine Methode, ein Programm (oder anderes Werk) frei zu machen und zu verlangen, dass alle modifizierten und erweiterten Programmversionen ebenfalls frei sind.“
[https://www.gnu.org/copyleft/copyleft.de.html]

copyleft ist keine lizenz, sondern ein wichtiger bestandteil vieler lizenzen, die bestimmte freiheiten garantieren sollen.

die lizenz wtfpl (Do What The Fuck You Want To Public License)
im gegensatz zu allen anderen lizenzen, die den nutzer_innen die freiheiten der werke gewährleisten wollen, besteht die wtfpl nicht aus unzähligen paragrafen, sondern nur aus einem satz: 0. You just DO WHAT THE FUCK YOU WANT TO.“ sinngemäß in etwa „ du machst einfach, was du verdammt nochmal tun willst.“. die wtfpl kommt nur sehr selten zum einsatz.
[http://www.wtfpl.net/]

es gibt ca 30 lizenzen für freie inhalte. diese beschränken sich schon lange nicht mehr nur auf software, sondern befassen sich mittlerweile mit kunst, musik, literatur, wissenschaft und technik.


die verbreitung freier software

um freie software zu nutzen, muss mensch kein computernerd sein und auch nicht gnu/linux auf seinem pc installiert haben. unzählige programme verrichten unbemerkt von den nutzer_innen ihre arbeit in dsl-routern, auf servern, in fernsehgeräten, mobiltelephonen, dvd-playern, supermarktkassen und vielen anderen elektronischen produkten.
millionen menschen nutzen z.b. den internetbrowser firefox, den emailclienten thunderbird, die büropakete openoffice oder libreoffice, das bildbearbeitungsprogramm gimp, das layout-programm scribus, die blogsoftware wordpress, das content-management-system drupal und zig weitere.
die millionen server, die das internet bilden, werden zu einem großteil mit freier software, meist apache, betrieben.
millionen smartphones laufen mit dem unfreien aber auf linux basierenden android.
immer mehr menschen nutzen komplette betriebssysteme, die frei sind: gnu/linux und seine distributionen wie ubuntu, debian, open suse, archlinux und viele andere.
freie software ist also weiter verbreitet, als die meisten menschen annehmen würden. das sagt aber noch nichts über ihre gesellschaftliche wirkung aus. diese kann sich erst dann entfalten, wenn die menschen freie software mit absicht nutzen und sich ihrer freiheit bewusst sind.


wie entsteht freie software?

Da die Bedürfnisse der Menschen keine zufälligen sind, entstehen freie Softwareprojekte“
[aus „Linux und Co – Freie Software – Ideen für eine andere Gesellschaft“ von Stefan Meretz]

Wir orientieren uns an den Bedürfnissen unserer Anwender und der Gemeinschaft für Freie Software.“
[aus dem Gesellschaftsvertrag von Debian, siehe auch http://www.debian.org/social_contract]

freie software fällt nicht einfach so vom himmel, sondern wird wie jede andere software programmiert. doch wer ist so frei und programmiert einfach so und meist, ohne dafür mit geld entlohnt zu werden, all diese nützlichen kleinen und großen programme? allein für auf debian basierende betriebssysteme gibt es über 30.000 pakete. ungefähr 2000 menschen programmieren für die freieste aller gnu/linux-distributionen.
freie software entsteht oft aus reinem eigennutz: ein_e programmierer_in benötigt eine bestimmte anwendung. also wird sie programmiert und der quellcode veröffentlicht. andere menschen finden das programm nützlich, ergänzen den code um weitere funktionen, beseitigen fehler und stellen den neuen quellcode wiederum online. so kann um das projekt herum eine community entstehen, die das programm betreut, stetig verbessert und aktualisiert. anderen gefällt die richtung, die das projekt einschlägt nicht. sie machen einen fork (eine abzweigung) und entwickeln das programm in ihrem sinne weiter und auch davon wird der quellcode veröffentlicht. freie software folgt den bedürfnissen der menschen. der russische anarchist pjotr kropotkin (1842 – 1921) hätte dieses organisationsprinzip und die communities freie vereinbarungen genannt.


vom nutzen und wert freier software

Der erste Antrieb Freier Software ist die Nützlichkeit. Der erste Konsument ist der Produzent. Es tritt kein Tausch und kein Geld dazwischen, es zählt nur die Frage: Macht die Software das, was ich will.“
[ aus „Linux und Co – Freie Software – Iddeen für eine andere Gesellschaft“ von Stefan Meretz]

fangen wir mit dem wert an: der wert der aktuellen version von debian, debian 7 „wheezy“, wird grob auf 14,4 milliarden € geschätzt. doch diese summe landete in keiner geldbörse und auf keinem konzernkonto. sie wurde einfach nie erwirtschaftet. die debian-entwickler_innen und die community programmieren aus vielen gründen, das geldverdienen gehört komischerweise nicht dazu.
freie software ist wertlos im besten sinn des wortes: sie stellt sich außerhalb der kapitalistischen verwertungslogik, es macht keinen sinn, sie zu verkaufen oder zu kaufen.
freie software ist aber nützlich. sie erfüllt unzählige zwecke, bietet viele funktionen und kreiert so einen freiraum, eine nische in der durch und durch kapitalisierten gesellschaft und ihrer ökonomie. die freie-software-bewegung schafft das, was anarchist_innen und antikapitalist_innen im großen erreichen wollen: sie macht den kapitalismus nutzlos und überwindet ihn. das ist zwar erstmal auf die digitale ebene beschränkt, wirkt aber immer mehr in die gesellschaft hinein und berührt und verändert das materielle leben.


geld verdienen mit freier software

das geht und kann auch ausdrücklich durch z.b. die gpl-lizenzen erlaubt sein.
es gibt durchaus firmen, die mit freier software geld verdienen. sie bieten freie software an und lassen sich dann die dienstleistung daran bezahlen: schulung, administration, wartung und pflege. zu den kund_innen zählen in erster linie andere firmen.
ubuntu, das wahrscheinlich bekannteste und am meisten genutzte gnu/linux-betriebssystem für den desktop, wird zu einem großen teil von der firma canonical gesponsert, die einen jahresumsatz von ca. 30 millionen us-dollar macht. ihr besitzer, der millionär mark shuttleworth, ist bekennender kapitalist und will mit ubuntu irgendwann geld verdienen.


die freie hardwarebewegung

„Für echte freie Hardware stehen alle Dokumente zur Verfügung, die man zum Nachbau und zur Modifikation dieser Hardware brauchen würde. Das wären also hauptsächlich Schaltpläne, Layoutdaten und Datenblätter der eingesetzten Bauteile.“
[ aus „http://www.freie-hardware.de/was-ist-freie-hardware/“]

inzwischen schwappt die idee der freien software auch auf das „real life“, die hardware über. es entstand und entsteht eine freie hardwarebewegung, die es sich zum ziel gesetzt hat, produkte ohne lizenzbeschränkungen zu entwickeln. das reicht von der entwicklung eines freien 64-bit-hauptprozessors mit linux über prothesen bis hin zu opencola.
immer geht es dabei darum, menschen uneingeschränkten zugang zu wissen und information zu ermöglichen. proprietäre lizenzen sind hier oft die größten hürden, da sie viel geld kosten können. gemeinsam entwickelt auch hier eine community die grundlage für ein produkt, das allen menschen zu gute kommt unabhängig von ihren finanziellen möglichkeiten.

Freedom 0: The freedom to use the device for any purpose.
(freiheit 0: die freiheit , das gerät für jeden zweck zu nutzen.)

Freedom 1: The freedom to study how the device works and change it to make it to do what you wish. Access to the complete design is precondition to this.
(freiheit 1: die freiheit zu studieren, wie das gerät funktioniert und es so zu verändern, dass es tut, was du willst. zugang zum kompletten design ist dafür voraussetzung.)

Freedom 2: Redistribute the device and/or design (remanufacture).
(freiheit 2: weiterverteilung des gerätes und /oder des designs.

Freedom 3: The freedom to improve the device and/or design, and release your improvements (and modified versions in general) to the public, so that the whole community benefits. Access to the complete design is precondition to this.
(freiheit 3: die freiheit, das gerät und /oder das design zu verbessern und deine verbesserungen (und generell veränderte versionen) zu veröffentlichen, so dass es der gesamten gesellschaft nutzt. zugang zum kompletten design ist voraussetzung dafür.)“
[aus http://www.ohanda.org/]

diese vier freiheiten zeigen deutlich die nähe zur freien-software-bewegung. die umsetzung von der idee zum fertigen produkt ist bei hardware natürlich ungleich aufwendiger, da wir es hier mit materie und nicht nur mit einsen und nullen zu tun haben: es braucht werkzeug, maschinen, rohstoffe, energie, geld und vieles mehr.


die anarchistische bewegung und freie software

nach meiner beobachtung ist freie software in der anarchistischen bewegung stärker vertreten als im rest der gesellschaft. zahlen dazu kenne ich keine. gründe dafür sind meiner meinung nach der antikapitalistische und libertäre charakter freier software und die möglichkeit sich mit einfachen bordmitteln ein halbwegs sicheres system zusammenzustellen, das eine verschlüsselte verwaltung und weitergabe von daten ermöglicht.
auf der anderen seite bin ich immer wieder überrascht, wie viele dann doch proprietäre software nutzen. eine umstellung fällt schwer. besonders, wenn mensch gerne die neuesten spiele zockt oder auf bestimmte software angewiesen ist.
aber ich denke dennoch, dass die gründe, die für freie software sprechen, uns als anarchist_innen ansprechen müssten. der umstieg fällt leichter, wenn mensch sich gleichgesinnte sucht, sei es online oder im echten leben. es gibt zu jeder gnu/linux-distribution und zu fast jedem freien programm eine community und ein forum, die hilfe anbieten. in größeren städten finden sich meist sogenannte linux user groups, die sich regelmäßg treffen und veranstaltungen organisieren.


aussichten

die wenigsten menschen hinter der freien software sind anarchist_innen. aber das müssen sie auch gar nicht sein. das, was sie tun, trägt den keim einer freieren gesellschaft auch ohne label in sich und dieser entfaltet sich zusehends. die grundlagen sind vielversprechend und schon jetzt befruchten sie andere gesellschaftliche bereiche und schaffen neue ideen oder bringen althergebrachtes wieder ans licht.
zur weiteren verbreitung freier software tragen seit dem sommer 2013 ungewollt die nsa und konsorten („was, die geheimdienste überwachen unsere digitalen daten?“) und ihre datensammelwut bei.
die verwendung, verbreitung, programmierung und unterstützung (ja, auch geldspenden werden gerne angenommen.) freier software ist widerstand gegen den status quo. nur darf es nicht dabei bleiben. eine nur auf digitaler ebene freiere gesellschaft nutzt letztendlich niemandem. eine gegenseitige befruchtung tut not und geschieht schon hier und da.

in diesem sinne: apt-get install anarchism*

*befehl für die kommandozeile in debian und debianbasierenden linuxdistributionen, um die faq zum thema anarchismus herunterzuladen. zu finden ist diese umfangreiche textsammlung zum thema anrchismus dann im dateisystem unter /usr/share/doc/anarchism oder immer (auch für nutzer_innen anderer betriebssysteme) auf http://www.infoshop.org/AnAnarchistFA

apt get

[bild: das besetzte haus les tanneries in dijon mit dem graffiti „apt-get install anarchism“]

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“so was habe ich in meinem ganzen leben noch nicht gesehen.”

ein interview mit einer brasilianischen anarchistin über das land und die proteste im juni 2013

enila dor lebt in porto alegre in brasilien. sie ist seit vielen jahren politisch aktiv und organisiert sich zu verschiedenen themen wie feminismus und anarchismus in gruppen und netzwerken und in der anarchopunkszene.

die proteste und den widerstand in porto alegre hat sie aus nächster nähe miterlebt.

das interview wurde von mitte juli bis mitte august 2013 auf englisch per email geführt.

nigra: hallo enila. erstmal danke, dass du dir die zeit nimmst, meine fragen zu beantworten.

enila: ich danke dir. es ist eine gute gelegenheit, darüber zu berichten, was hier los ist. zeit ist auch eine frage der prioritäten.

wenn ich an brasilien denke, dann kommen mir begriffe wie amazonas, regenwald, yanomami, rio de janero, zuckerhut, karneval und favelas in den sinn. strenge ich mein hirn stärker an, tauchen da auch chico mendez, die landlosenbewegung, roberto freire und ein paar coole anarchopunkbands auf. wie würdest du brasilien beschreiben?

das ist wirklich eine schwere frage. brasilien ist all das, was dir in den sinn kam, eine mischung aus der realität und dem, was sich gut an nichtbrasilianer_innen verkaufen lässt. brasilien ist ein riesiges land mit verschiedenen kulturen, so dass wir sagen können, dass hier viele länder in einem existieren. was in all diesen gleich ist, sind die gesetze: alle bundesstaaten haben die gleichen mehrheitsrechte. die großen medien, die sieben reichen familien gehören, formen und kontrollieren die öffentliche meinung (ähnlich wie in anderen ländern). es gibt viele gesellschaftsschichten und sehr große unterschiede zwischen ihnen. die reichtümer sind im besitz einer sehr kleinen minderheit. die natur ist großartig, aber in den großstädten ist sie weit weg und der größte teil des wassers, der flüsse und meere rund um die städte ist sehr verschmutzt. gentrifikation ist groß im kommen, vor allen dingen wegen der fußballmeisterschaft der männer im kommenden jahr. es ist auch wichtig, sich daran zu erinnern, dass brasilien eine sehr hohe rate von gewalt gegen frauen hat. sie werden diskriminiert: frauen bekommen weniger gehalt für die gleichen jobs. viele mädchen und frauen prostituieren sich und während der weltmeisterschaft wird der sex-tourismus noch mal zunehmen.

brasilien ist auch ein rassistisches land. wir leben in einer art apartheid: grundsätzlich leben schwarze menschen in ärmlichen gegenden. sie werden öfter von der polizei ins visier genommen und erfahren mehr polizeibrutalität. sie haben weniger zugang zu schulen und jobs. schwarze frauen leiden darunter doppelt.

indigene menschen werden immer noch von ihrem land vertrieben und umgebracht.

es ist eine pessimistische darstellung, aber ich sehe keinen grund darin, hervorzuheben, dass es hier wunderschöne plätze in der natur gibt, die menschen herzlich sind, usw. usf. jede_r weiß das.

wie steht es um die anarchistische bewegung in brasilien? gibt es gruppen, netzwerke oder föderationen?

es gab eine starke anarchistische bewegung am anfang des 20. jahrhunderts, beeinflusst von europäischen einwanderer_innen. es gab einige anarchistische zeitungen, anarchist_innen waren an zwei generalstreiks beteiligt und es gab kommuneexperimente. all das verschwand, als die repression und verfolgung während der diktaturen in den 1930er, 1950er und 1960er jahren zunahm. in den letzten 20 jahren gewann der anarchismus an stärke und sein wiedererwachen ist teilweise auf die punkbewegung zurückzuführen. dort war er thema in der mitte der 1980er jahre. seit da entstehen föderationen, anarchopunkbands, netzwerke, verlage und buchmessen. es gibt auch organisierte anarchafeministische gruppen. und obwohl ich nicht an einen anarchismus ohne feminismus glaube, hebe ich den anarchafeminismus hervor, da er für viele anarchist_innen kein hauptthema ist. und ich sage das, während ich mir vorstelle, wie das einige leute lesen und sagen: “das ist überflüssig. es ist nicht notwendig, anarchafeminismus so zu betonen.” ich sage aber, dass es sehr wohl notwendig ist, den anarchafeminismus auch unter anarchist_innen immer zum thema zu machen, weil es leider auch in der libertären szene viel machismus und gewalt gibt.

bist du organisiert und wenn ja in welcher form?

ja, ich versuche organisiert zu sein, haha. nein, im ernst, ich bin in anarchistischen kollektiven organisiert, ich habe eine kleine bezugsgruppe und bin teil eines anarchafeministischen kollektives. ich arbeite in einem feministischen netzwerk und bin teil einer selbstverteidigungsgruppe für frauen. meine kleine bezugsgruppe und mein feministisches kollektiv organisieren veranstaltungen und aktionen mit anderen anarchistischen gruppen oder libertären, sozialen bewegungen. und im nächsten november organisieren wir die vierte anarchistische buchmesse von porto alegre.

die proteste begannen am 14.06.2013. ich war von der intensität und größe völlig überrascht. als ich dann aber nachgeforscht habe, lernte ich schnell, dass sie nicht in einem vakuum entstanden, sondern eine vorgschichte haben.

hier in porto alegre begannen die proteste im februar dieses jahres. jedes jahr im februar steigen die preise der bustickets und über viele jahre gab es schon proteste in großen städten. aber klar, dieses jahr waren die intensität und quantität viel größer und es fanden auch in vielen kleinstädten proteste statt.

gab es anarchistische beteiligung an den protesten und wenn ja, konnte diese sich inhaltlich einbringen?

sie wurden hauptsächlich von anarchist_innen und einigen linken parteien initiert. überraschenderweise kamen anarchistische ideen in die öffentlichkeit. die leute begannen über anarchismus zu reden. die medien und die regierung konnten nicht leugnen, dass anarchist_innen beteiligt waren. es gab einige ermittlungen gegen anarchist_innen und z.b. die anarchistische föderation (fag) hier wurde von der polizei ohne durchsuchungsbefehl gerazzt.

OLYMPUS DIGITAL CAMERAder höhepunkt der proteste scheint überschritten zu sein, der cup ist zu ende. wie sieht es aktuell aus?

es ist noch nicht vorbei. die proteste gehen an vielen orten weiter, hauptsächlich in rio de janeiro, aber mit weniger intensität. es ist wichtig zu sagen, dass die leute nun (in einem positiven sinn) an die proteste gewöhnt sind. das macht es leicht möglich, wenn nicht sogar unumgänglich, dass neue proteste aufkommen.

in irgendeinem interview habe ich gelesen, dass es kein zufall war, dass die proteste genau mit dem cup zusammenfielen: heute schaut die welt auf uns! dort wurde auch prophezeit, dass rechtzeitig zum world cup eine neue phase des protests anstehen wird. wie siehst du das?

ich denke, dass die proteste größer wurden, als der cup begann. die zwangsräumungen, die abschottung der innenstadt, die krankenhausschließungen und die armee in den straßen machten eine antwort dringlicher. wenn die fußballweltmeisterschaft der männer beginnt, das glaube ich auch, werden dir proteste stark wiederkommen.

wie sahen die proteste in deiner heimatstadt porto alegre aus?

die proteste waren sehr intensiv. es gab viel polizeigewalt und sehr viele riots. so was habe ich in meinem ganzen leben noch nicht gesehen. eigentlich begannen die proteste hier in porto alegre radikaler zu werden, dann in sao paulo und dann an anderen orten. es war unglaublich, zu sehen, wie jeden tag proteste stattfanden und wie ein protest in einer stadt die menschen in der anderen motivierten und umgekehrt. es war wie eine verbindung und auch ein netzwerk. der alltag veränderte sich sehr stark. banken und läden schlossen früher, die leute beendeten ihre schichten auch früher. nach den kämpfen der ersten nacht verrammelten die banken und läden ihre fenster und viele mussten das wieder und wieder tun. die polizei war sehr gewalttätig und setzte eine menge tränengas ein. das tränengas ging aus und der staat musste mehr bestellen. es wurde auch abgelaufenes gas eingesetzt. anderes gas war dafür bestimmt, in kriegsgebiete geschickt zu werden, erreichte diese länder aber nie, sondern wurde hier eingesetzt. es hatte eine andere zusammensetzung und darf hier in brasilien nicht eingesetzt werden (aber in einigen afrikanischen ländern…). einige menschen starben durch den einsatz von tränengas. es wurden auch gummigeschosse benutzt, pfefferspray, wasserwerfer und scharfe munition. es wurden menschen gefoltert und menschen verschwanden. nicht zu vergessen die menschen, die später tot aufgefunden wurden. frauen haben sexualiserte gewalt erfahren und wurden vergewaltigt. favelas (slums; d.ü.) wurden auch öfter überfallen und es gab dort massaker: im erwähnenswertesten fall in der favela da mare in rio de janeiro wurden zehn menschen erschossen. viele demonstrant_innen wurden von autofahrer_innen überfahren, da diese es nicht abwarten konnten, bis die demonstration vorübergezogen war. einige menschen starben. hier ist es wichtig zu erwähnen, dass brasilien eine starke autokultur hat und fahrer_innen, die jemanden verletzen oder töten, werden selten bestraft.

BRAZIL-CONFED-PROTESTin europa erleben wir u.a. in frankreich und ungarn einen krassen rechtsruck. eine zeit lang wurde berichtet, dass rechte gruppen die proteste für sich instrumentalisieren würden und ihnen das auch gelänge. gibt es eine nennenswerte rechte bewegung in brasilien und konnte diese wirklich in den letzten wochen punkten?

ich denke, dass die rechte unterschiedliche tendenzen hat. nationalismus ist immer dabei, aber in verschiedenen ausprägungen. eine ist militaristisch, eher traditionell und konservativ, inspiriert von faschistischen und imperialistischen ideen. die andere ist nationalistisch in ihrer verehrung für brasilien. beide waren bei den protesten präsent. ich denke, dass die letztere erfolgreicher war. sie versuchte die proteste zu entpolitisieren und die menschen abzuschrecken.

ich bin immer wieder davon überrascht, dass bei solchen bewegungen, die jeweiligen nationalflaggen des antsprechenden landes zuhauf geschwenkt werden. so auch auf vielen fotos und in vielen videos aus brasilien. als anarchist sehe ich patriotische tendenzen immer mit sorgen. was würdest du an den protesten kritisieren?

die proteste begannen wegen der erhöhung der busticketpreise und auch wegen den anderen dingen bezogen auf den cup und die ausgaben der regierung für die nächste die fußballweltmeisterschaft. es war eine totale überraschung für die gesellschaft, dass sich so viele menschen beteiligten und mit engagement und stärke protestierten. so war es eine offene tür für die opportunist_innen, die meisten von ihnen aus der mittelschicht, engagiert gegen korruption, und rechte parteien und organisationen. die medien spielten eine wichtige rolle dabei, die proteste zu befrieden und die protestierenden zu verfolgen, die an den riots beteiligt waren. die medien verbrachten die ganze zeit damit, einen unterschied zwischen den “guten” und den “bösen” protestierenden zu konstruieren. sie begannen zu behaupten, dass die proteste sich nur gegen die korruption richten würden. sie versuchten so, die ursprünglichen themen unter den teppich zu kehren. nationalist_innen und moralisierende pazifist_innen kamen zu den protesten. brasilianische flaggen wurden geschwenkt und nationalismus wurde in die szenerie eingebracht. es tat weh zu beobachten, wie leute die polizeigewalt entschuldigten. es war abscheulich, friedensbewegte menschen zu beobachten, wie sie militante protestierende angriffen, die an den riots teilnahmen oder nur graffitis sprühten. die gewalt nahm zu, als neonazis auftauchten und anarchist_innen, punks, leute von mst (movimento dos trabalhadores sem terra; bewegung der landlosen arbeiter_innen) und menschen von linken parteien angriffen. es wurde sehr chaotisch und groß, so dass wir nicht wussten, in welche richtung sich die dinge entwickeln würden. wir hatten angst vor einem staatsstreich. die atmosphäre war seltsam gefährlich und schwer.

rio de janeirosiehst du paralellen zum arabischen frühling oder der gezi-park-bewegung in der türkei? auch dort fing ja alles ganz „harmlos“ an und breitete sich dann wie ein feuer übers ganze land aus.

die gemeinsamkeiten, die ich sehe, sind, dass die menschen das vertrauen in die demokratie verloren haben und dass das internet geholfen hat die dinge leicht und wie einen virus zu verbreiten. in dieser zeit musst du nicht teil einer politischen bewegung sein, um an kämpfen teilzunehmen, sondern du folgst gruppen und blogs. das hat positive und negative seiten, mit denen wir klar kommen müssen.

du lebst in porto alegre. die millionenstadt im süden brasiliens wurde bei uns hauptsächlich dadurch bekannt, dass dort über jahre hinweg das weltsozialforum stattfand. zusätzlich wurde porto alegre hierzulande dafür gelobt, dass ein bis in die stadtteile reichendes system der mitbestimmung und selbstverwaltung eingerichtet wurde. z.b. über bauvorhaben und den gemeindehaushalt sollte so von möglichst vielen menschen mitentschieden werden. inwieweit spiegelt sich das in deiner lebensrealität wieder?

ich denke, dass diese sebstverwaltung nicht so funtioniert, wie es den anschein hat. die beweise dafür sind z.b. die zwangsräumungen, die wachsende anzahl von einkaufszentren, die immer größeren straßen und brücken, die die stadtteile durchschneiden. eigentlich ist “selbstverwaltung” nicht die richtige bezeichnung dafür, sondern “bevölkerungsberatung” und es bedeutet nicht, dass die von den menschen als dringlich betrachtete themen in die realität umgesetzt werden. es gibt das ganze nun schon seit mehr als 20 jahren und es gibt immer noch viele stadtviertel ohne abwasserentsorgung und viele gemeinswesen haben keine schulen und öffentliche verkehrsmittel, wie sie sie gerne hätten.

enila, ich danke dir und wünsche euch alles gute für eure kämpfe.

vielen dank. die fragen waren sehr interessant. ich hoffe, dass meine ausführungen den leuten bei euch etwas sagen werden.

[das interview habe ich für die 改道 gǎi dào gehalten. es erscheint in der aktuellen oktoberausgabe sowohl online wie auch als druck. abonnieren könnt ihr die 改道 gǎi dào hier.]

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demonstration gegen die tödliche eu-abschottung

150 menschen demonstrierten in freiburg für die öffnung der europäischen außengrenzen

nachdem am dritten oktober vermutlich weit über 350 menschen vor lampedusa im mittelmeer ertranken, ist das entsetzen weltweit groß und vielen menschen wird erst jetzt bewusst oder wieder vor augen geführt, wie grausam die abschottungspolitik der europäischen union ist.

so folgten 150 menschen in freiburg dem kurzfristigen aufruf von aktion bleiberecht und zeigten ihre ablehnung dieser politik.

ab 15 uhr versammelten sie sich vor dem rathaus. ein vertreter von aktion bleiberecht schilderte den vermutlichen hergang und setzte ihn in verbindung zur deutschen außen- und eu-politik, deren vertreter_innen sich auch im angesicht von so vielen toten nicht zu schade sind, dafür zu plädieren, frontex zu stärken und die maschen des netzes um europa noch enger zu ziehen. zudem wurde die presseerklärung von pro asyl verlesen.

danach setzte sich die demo eher verhalten, denn laut in bewegung, zog durch die fußgänger_innenzone zum landratsamt, das auch der sitz der ausländerbehörde ist. hier wurden nach einer schweigeminute noch ein paar abschließende worte gesprochen. gegen 16 uhr war die kleine, aber wichtige aktion beendet.

zum hintergrund:

am morgen des dritten oktobers geriet ein boot mit über 500 flüchtlingen vorwiegend aus somalia und eritrea vor der italienischen mittelmeerinsel lampedusa in seenot. nachdem es den menschen an bord nicht gelang über mobiltelefone auf sich aufmerksam zu machen, entzündeten sie in ihrer verzweiflung ein signalfeuer auf dem boot. wahrscheinlich breitete sich das feuer aufgrund von benzin unkontrolliert aus, was letztendlich zum kentern des bootes führte. über 350 menschen starben.

wie kann so etwas auf dem am besten überwachten meeresgebiet europas geschehen? die eu hat mit frontex und dem ab 2014 geplanten eurosur an seinen südlichen außengrenzen eine totalüberwachung zur flüchtlingsabwehr geschaffen. flüchtlingsrettung ist da nicht vorgesehen. seit 1993 sind über 18 000 menschen an den außengrenzen der europäischen union gestorben. die signalwirkung dieser tatsache kann aus sicht der burgherr_innen der festung europa gar nicht hoch genug eingeschätzt werden: bleibt weg! wir wollen euch nicht! und es ist gefährlich!

wir aber wollen eine welt ohne grenzen, in der jede_r selbst bestimmen kann, wo er/sie leben will. für uns ist es eine verkehrte welt, in der waren und geld frei zirkulieren können, menschen aber beim versuch ihr land zu verlassen oder ein anderes zu erreichen, sterben müssen. dieses sterben ist kein unglück oder schicksal, sondern menschengemacht und mord.

für eine welt ohne nationen, staaten und kapital.

[weitere berichte: 1, 2]
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es ist deutsch in kaltland…

350 menschen demonstrierten in stuttgart gegen staat, nation und kapital. 500 000 menschen feierten mit oder vielleicht sogar für nation, staat und kapital, who knows?

nachdem die antinationalistische demonstration nach tagelangen vorverhandlungen mit den behörden erst um 15:30 h starten durfte ( die polizei wollte nicht zwei demos zur gleichen zeit schikanieren.), zog sich die warterei am infopunkt in der keplerstraße in die länge. so konnte mensch sich zeit nehmen, die unmengen von polizei (zu fuß, beritten, auf zwei und vier rädern oder in der luft) auf sich wirken zu lassen, einen blick auf das deutschlandfest zu werfen oder die genoss_innen auf der antikapitalistischen demonstration ein paar hundert meter weiter zu besuchen.

nach zwei redebeiträgen ging es dann tatsächlich um halb vier uhr los. die stimmung war gut, die parolen altbekannt aber laut und die polizei zurückhaltend. die demoroute war gemischt: viel publikum oder leere straßenzüge. es wurde ordentlich geflyert, mit passant_innen diskutiert und interviews gegeben.

die redebeiträge machten deutlich, wie unterschiedlich die einzelnen gruppen des bündnisses staat, nation und kapital erklären, analysieren und welche schlüsse sie daraus ziehen. in all ihrer unterschiedlichkeit waren die reden vieles, nur eins nicht: flach. und sich einig darin, dass eine gesellschaft ohne staat, nation und kapital eine herrschaftsfreie sein muss. sonst macht dat janze kenen sinn, wa?

die infrastruktur der demo war gut organisiert. eine detailierte aktionskarte machte auswärtigen die orientierung leicht, jederzeit waren demosanis am start, ein gut vorbereitetes out-of-action-team bot betreuung für den fall der fälle an, ein infotelefon nahm die neuesten gerüchte an, ein ticker streute diese und ein ermittlungsausschuss stand bereit, um im falle von verhaftungen die rechtliche begleitung zu gewährleisten.

alles in allem eine gelungene demo ohne stress und mit einer gewissen außenwirkung.

dem gegenüber standen 500 000 menschen, die durch die stuttgarter innenstadt flanierten und sich die volle packung staat, nation und kapital gaben, garniert mit militaristischen einlagen, bier und schlechten deutschen musiker_innen.

auf der heimfahrt in den zügen, die stuttgart verließen, musste mensch dann auf tuchfühlung mit dem deutschen partymob gehen. pseudo-dirndl und lederhosen dominierten das bild. ob wasengeschädigt oder deutschlandtrunken, was machte das schon für einen unterschied? sexistische, homophobe und rassistische lieder grölend, war er sich in seiner promillebenebelten widerlichkeit keiner dummheit zu schade und zeigte seine erschreckende fratze.

zu hause angekommen, musste deutschland dann erstmal sterben

[einen weiteren bericht von zur selben demo, nicht zur anderen, finder ihr hier

und focus südwest bei radio dreyeckland liefert ein feature.]

 

 

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