In meinem Text „Alles für alle und zwar Umsonst – Freie Software und Anarchismus“¹ bin ich auf Freie Software im Allgemeinen, ihre Entstehungsgeschichte und ihre Anknüpfungspunkte zum Anarchismus eingegangen. In loser Folge will ich nun ganze Betriebssysteme und einzelne Programme vorstellen, immer im Hinterkopf behaltend, was ich im oben erwähnten Artikel schrieb.
Beginnen will ich mit dem Betriebssystem (BS), das ich selbst im produktiven Einsatz auf meinen Rechnern installiert habe, Debian GNU/Linux.2 Da ich als grafische Oberfläche Gnome verwende, beziehen sich meine Beschreibungen darauf. Während der Installation (aber auch danach) kann mensch zwischen diversen Oberflächen wählen oder sich gleich mehrere installieren.
Die Idee zu Debian GNU/Linux entstand durch Ian Murdocks Unzufriedenheit mit einer Software, in diesem Fall mit einer der allerersten Linux-Distributionen Softlanding Linux System (SLS). Er begann daraufhin ab 1993 eine eigene zu entwickeln: Debian GNU/Linux war geboren. Der Name Debian leitet sich von Ians Frau Debra und seinem eigenen Vornamen Ian ab.
Eine kleine Gruppe von Freie Software-Hacker*innen formierte sich um das unkommerzielle Projekt und wuchs zu einer großen Gemeinschaft von heute nahezu 1000 freiwilligen Entwickler*innen an. Debian GNU/Linux ist die bedeutendste GNU/Linux-Distribution in vielerlei Hinsicht: Es gibt sie nun schon kontinuierlich seit 28 Jahren. Es gibt keine*n Chef*in. Sie ist an keine Firma gebunden. Sie ist unabhängig. Sie hat als einzige einen Gesellschaftsvertrag3, der sicher stellt, dass das BS für immer frei bleiben wird. Sie ist die Grundlage, auf der weitere große und beliebte Distributionen wie die *Buntus (Ubuntu, Xubuntu, Lubuntu, Kubuntu, …) oder Linux Mint und unzählige andere kleine oder sehr spezielle (wie zum Beispiel Tails4) aufbauen. Das spricht für Qualität und Stabilität, beides wichtige Fundamente für ein BS.
Das Projekt legt großen Wert auf Stabilität und Verlässlichkeit: Die sogenannte Stable-Version (also „stabile Version“, z. Z. ist das Debian GNU/Linux 10 Buster) erscheint erst dann, wenn sie fertig ist und nicht, wenn es eine Erscheinungsroutine vorgibt. Das ist zur Zeit ca. alle zwei Jahre der Fall. Das hat zwar zur Folge, dass die integrierte Software schon ein bischen abgehangen – lies: alt – ist, aber eben auch, dass das BS läuft wie eine gut geölte Maschine: rund und ohne abzustürzen. Es tut, was es tun soll und das mit großer Power. Eine Version wird fünf Jahre lang mit Updates unterstützt. Spätestens nach dieser Zeitspanne sollte mensch auf die nächste Stable upgraden.
Die Installation von Debian GNU/Linux hatte lange den Ruf, sie sei aufwändig und nur was für Nerds und Expert*innen. Das gilt schon seit Jahren nicht mehr: Die Installation ist im Großen und Ganzen genauso einfach wie bei jedem anderen BS. Eine grafische Oberfläche führt leicht verständlich durch den Prozess und heutzutage fast immer zum Erfolg, so dass mensch am Ende ein modernes, freies BS auf der Festplatte hat, das sehr gut zum Tun von Anarchist*innen passt: Es ist das Produkt einer riesengroßen freien Vereinbarung. Pjotr Kropotkin würde Debian GNU/Linux kaufen nutzen.
Um sicherzustellen, dass die Hardware des Computers mit dem BS harmoniert, ist es sinnvoll vor der Installation, die Live-Version des BS zu starten. So können alle Funktionen ausprobiert werden, ohne dass das aktuelle BS angefasst wird. Wenn alles läuft, kann die eigentliche Installation5 beginnen.
Einen enormen Gewinn für die Datensicherheit und Privatsphäre bietet während der Installationsroutine die Funktion, die gesamte Festplatte verschlüsseln zu können. Hier vergibt mensch ein langes und sicheres Passwort bzw. eine Passphrase6, mit dem oder der dann später die verschlüsselte Festplatte und das sich darauf befindliche BS entschlüsselt wird. Ohne Passwort hat niemensch die Chance, an die Daten heranzukommen (wenn der Rechner aus ist). Unzählige Bullen und Geheimdienste haben sich schon ihre Zähne an gut verschlüsselten Geräten ausgebissen.7
Bei Laptops muss mensch oft noch die Treiber für das WLAN-Modul nachinstallieren, da diese nicht als Freie Software vorliegen und darum nicht im original BS enthalten sind. Für Einsteiger*innen mit einem Laptop kann es daher komfortabler sein, einen kleinen Kompromiss zu machen und das nichtoffizielle Non-free-Image für die Installation zu benutzen.8 Es enthält diverse unfreie Software, die für bestimmte, total vernagelte Hardware unabdingbar ist.
Nach der erfolgreichen Installation, hat mensch ein komplettes BS auf der Festplatte. Alle im Alltag benötigten Programme befinden sich schon an Bord: Firefox als Browser, der E-Mail-Client Evolution (ein mächtiges Programm ähnlich Thunderbird; wer dennoch Thunderbird nutzen will, kann das problemlos aus nachinstallieren: es wird offiziell von Debian GNU/Linux unterstützt), das Büropaket LibreOffice, der Audioplayer Rhythmbox und viele weitere.
Nun beginnt das Finetuning: Übertragen der vorher gesicherten Daten (Texte, Fotos, Filme, Musik, E-Mails, Browser-Lesezeichen,…) und das Nachinstallieren eventuell benötigter Spezialprogramme. Das Debian GNU/Linux-Universum bietet hier eine schier unerschöpfliche Quelle an Software für nahezu alle Zwecke: Es gibt aktuell ca. 57.000 Programmpakete. Und alles ist frei in vielerlei Hinsicht: Frei von Kosten für die Nutzer*innen und frei von Einschränkungen wie z. B. kapitalistischer Knebellinzenzen.
Software kann sehr einfach und sicher9 über das Programm „Software“ installiert werden , das nach Kategorien sortiert ist oder über das Paketverwaltungssystem APT in der Konsole. Ein umfangreiches Wiki für Programme bietet die Community-Website Ubuntuusers10: Debian GNU/Linux ist zwar nicht Ubuntu, aber da Ubuntu auf Debian GNU/Linux basiert und dessen Paketverwaltung dpkg mit seinen tausenden Paketen verwendet, ist das Wiki in den meisten Fällen für Debian GNU/Linux nutzbar.
Ich arbeite seit vielen Jahren sowohl auf meinem Laptop wie auch an meinem Desktoprechner mit der jeweils aktuellen Stable-Version von Debian GNU/Linux und hatte nie nennenswerte Probleme mit dem Grundsystem. Hakte es dann doch einmal an anderen Stellen, fand ich immer kompetente Hilfe im deutschsprachigen Debian-Forum.11
Ich kann all das tun, was andere mit ihren Windows- oder Applecomputern auch können: Im Internet surfen (es gibt X verschiedene Browser), den Tor-Browser nutzen, verschlüsselte E-Mails schreiben, verschlüsselt chatten, Texte schreiben, Musik verwalten und abspielen, Filme verwalten und schauen, Fotos verwalten und bearbeiten, mit einem Grafiktablett zeichnen und malen, Passwörter generieren und verwalten, E-Books verwalten und bearbeiten, Videos bearbeiten, Präsentationen erstellen, Audiodateien aufnehmen und bearbeiten, Dokumente einscannen oder ausdrucken, den Raspberry Pi verwalten, wenn ich wollte, könnte ich zocken und wenn ich könnte, könnte ich programmieren.
All das tue ich mit der Gewissheit, dass die Softwareprodukte, die ich einsetze, programmiert wurden und werden, um ihren Zweck zu erfüllen und nicht, um eine Ware zu sein und Profit für einen Konzern zu generieren, der erstens mit den Linzenzen und zweitens mit meinen persönlichen Daten Milliarden verdient. Die Menschen, die am Debian GNU/Linux-Projekt beteiligt sind und dafür Code schreiben, tun das aus Leidenschaft und mit großer Kompetenz. Sie fühlen sich einer bestimmten Ethik und Philosophie verpflichtet, die das Gemeinwohl der Menschen im Blick haben. Wir sind nicht ihre Kund*innen und schon gar nicht ihre Produkte12, sondern Menschen, die – wollen sie in einer freien Gesellschaft leben – u. a. gute, sichere und frei zugängliche Software brauchen.
Was mir ebenfalls an Debian GNU/Linux gefällt, ist der Fakt, dass es seit vielen Jahren das Paket „anarchism“ in den Ressourcen gibt: „Die »Anarchist FAQ« sind eine exzellente Quelle für Informationen über anarchistische (freiheitlich sozialistische) Theorie und Praxis. Sie sprechen alle wichtigen Themen, von den Anfängen des Anarchismus bis zu sehr spezifischen Diskussionen über Politik, soziale Organisation und Ökonomie, an.“13 Immer wieder kommt es zu Beschwerden über das Paket, die dann ganz schnell verstummen, wenn im Gegenzug verlangt wird, dass dann auch das Paket „bible-kjv“, also die King James-Bibel, entfernt werden müsse. Amen.
Endnoten
2 https://www.debian.org/; Ich schreibe konsequent Debian GNU/Linux, weil: „Linux ist der Betriebssystemkern: das Programm im System, das die Ressourcen des Systems an die anderen Programme zuteilt. Der Systemkern ist ein wesentlicher Bestandteil eines Betriebssystems, für sich genommen aber nutzlos; er kann nur im Kontext mit einem kompletten Betriebssystem funktionieren. Linux wird üblicherweise in Kombination mit dem GNU-Betriebssystem genutzt: das ganze System ist grundsätzlich GNU mit hinzugefügtem Linux ‑ oder GNU/Linux. All die sogenannten „Linux“-Distributionen sind tatsächlich GNU/Linux-Distributionen.“ (aus: https://www.gnu.org/gnu/linux-and-gnu.de.html)
3 https://www.debian.org/social_contract
4 Tails ist ein Live-System, das auf Anonymität und Sicherheit setzt. Siehe: https://tails.boum.org/
5 https://debian-handbook.info/browse/de-DE/stable/sect.installation-steps.html
6 https://www.privacy-handbuch.de/handbuch_35a.htm und https://www.selbstdatenschutz.info/passwort
7 „Da es den Ermittlungsbehörden allerdings bislang nicht gelungen ist, die als Beweismittel beschlagnahmten IT-Asservate zu entschlüsseln,…“ aus https://netzpolitik.org/2019/das-verbot-von-linksunten-indymedia-und-die-zweifelhafte-rolle-des-verfassungsschutzes/ und „Das LKA Baden-Württemberg konnte – trotz Hilfe von Behörden und Geheimdiensten wie Bundespolizei und Bundesamt für Verfassungsschutz – die Verschlüsselung nicht knacken.“ aus https://www.neues-deutschland.de/artikel/1124528.indymedia-linksunten-verfahren-eingestellt.html und „Dem mit der Entschlüsselung und Auswertung beauftragten Bundesamt für Verfassungsschutz gelang es in drei Jahren nicht, die Verschlüsselung zu knacken.“ aus https://rdl.de/beitrag/verfassungsschutz-gibt-entschl-sselung-der-festplatte-mit-daten-von-freiburger-stuiderenden
8 https://cdimage.debian.org/images/unofficial/non-free/images-including-firmware/
9 https://de.wikipedia.org/wiki/Debian#Software-Sicherheit
10 Hauptseite: https://ubuntuusers.de/ und das Wiki: https://wiki.ubuntuusers.de/Startseite/
11 https://debianforum.de/forum/index.php
12 Anspielung auf die oberflächliche Behauptung, dass das Produkt von z. B. Facebook ein Soziales Netzwerk sei. Tatsächlich verkauft Facebook (und andere Konzerne wie z. B. Google) seine Nutzer*innen (bzw. deren Daten) an seine Kund*innen. Die Kund*innen sind die Firmen, die personalisierte Werbung in z. B. unsozialen Netzwerken schalten und für die Daten der Nutzer*innen bezahlen.