Bücher lesen: Angela Merkel ist Hitlers Tochter

Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben und diese dann sogar missionarisch in ihrem Umfeld predigen, nerven ungemein. Das kann dazu führen, dass Freundschaften zerbrechen, Familien auseinandergehen und politische Gruppen sich auflösen. Ich selbst hatte so einen Fall in einer meiner politischen Gruppen. Der Prozess der Trennung, die vorangehenden Diksussionen mit dem an sich sehr intelligenten und lieben Menschen waren kräftezehrend, erschütternd und desillusionierend.

Seither beschäftigen mich Verschwörungstheorien intensiver, als in den Jahren davor: Ich sah sie eher als popkulturelles Phänomen, das in Filmen und Romanen Stoff für kurzweilige Unterhaltung bot. In den späten 1990er Jahren war der Film „23“ und somit die Illuminaten in meinem Umfeld beliebt, auch ich mochte ihn und spielte mit der Zahl 23. Haha, sie war ja wirklich in allen möglichen und unmöglichen Formen überall zu finden. Das war witzig besonders mit THC in Blut und Kopf. Ich traf in dieser Zeit nur eine Person, die die Weltherrschaft der Illuminaten wirklich für real hielt. Es war ein angetrunkenes und bekifftes Partygespräch und mit wenigen Sätzen konnte ich den mir sehr lieben Menschen wieder in die Realität und von den Illuminaten zurück holen (ich musste nicht gegen schier unzerstörbare, virtuelle „Echokammern“ anreden…): Die für alle offen einsehbare Machtstruktur des Kapitalismus und seine Eigendynamik waren dann doch glaubhafter und wahrscheinlicher…

Heute scheinen große Teile des Internets von den Anhänger*innen der absurdesten Verschwörungstheorien besetzt zu sein: Es gibt massig Seiten, Facebookgruppen, Blogs und Podcasts, die sich mit Reptiloiden, Chemtrails, der jüdischen Weltverschwörung und zig anderen haarsträubenden Wahnideen beschäftigen, sich gegenseitig bestärken und als Quellen nutzen.

Das Buch „Angela Merkel ist Hitlers Tochter. Im Land der Verschwörungstheorien“ von Christian Alt und Christian Schiffer versucht zu erklären, wo diese Verschwörungstheorien herkommen, warum wir alle für den Glauben an sie anfällig sind und was wir gegen sie unternehmen können.

Es nimmt uns mit in den „Kaninchenbau“, wie die Autoren die Hardcoreszene der Verschwörungsfreaks nennen – eine Anspielung auf Alice im Wunderland: Dort ist der Kaninchenbau der Zugang zum Wunderland, in dem alles möglich scheint. Die Autoren bezeichnen sich selbst als „Nerds“ und versuchen dies mit einem flapsigen Schreibstil zu unterstreichen. Das nervt eher, als dass es hilft und mir fiel es deshalb oft schwer, das Buch ernst zu nehmen.
Nichtsdestotrotz enthält das Buch viele erhellende Momente, fasst die beliebtesten Verschwörungstheorien zusammen, gibt uns Einsichten in die Denkstrukturen der Szene und zeigt uns Menschen, die tief in ihr drinsteckten und wieder rauskamen.

Besonders spannend fand ich die Kapitel 9 „Die Psychologie von Verschwörungstheorien“ und 10 „Die Kunst des verzerrten Denkens – noch mehr Bias„. In ihnen wird versucht zu erklären, warum wir anfällig für den Glauben an Verschwörungstheorien sind. Wir lernen, was „Ockhams Rasiermesser“ ist und wie die Psychologie in Experimenten versucht, die Wirkungsweise von Verschwörungstheorien zu verstehen. Diese Kapitel (wie eigentlich das ganze Buch) tragen dazu bei, dass ich in Verschwörungstheorie-Anhänger*innen auch immer die Menschen sehe, die sie sind und die ihre Selbstwirksamkeit verloren haben. Fehlende Selbstwirksamkeit – also die Überzeugung einer Person, auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können (1) – scheint einer der Hauptgründe dafür zu sein, dass Menschen anfällig für völlig abwegige Erklärungsversuche für Ereignisse und bestehende Systeme werden. Das tragische ist, dass in einer immer komplexer werdenden Welt und in einer mehr und mehr duchkapitalisierten Gesellschaft unsere Selbstwirksamkeit tatsächlich abnimmt. Das sprechen die Autoren leider nur kurz in Kapitel 14 „Lasst uns eine Wissenspyramide bauen“ an. Hier schreiben sie, dass unsere Gesellschaft leider nicht gerade so verfasst ist, dass Menschen an ihrer Gestaltung mitwirken können, forden aber nur – parlamentarische Demokraten, die sie halt sind – dass uns die Politik hier Rechenschaft schuldig sei (siehe Seite 271) und sie in der Pflicht stehe, uns zu erklären, dass die Welt komplizierter geworden sei. Selbstwirksamkeit spüren Menschen, die über ihre Belange selbst mitbestimmen können, die sich in selbstverwalteten, fortschrittlichen und emanzipatorischen Strukturen einbringen und sich mit anderen Menschen in Projekten organisieren, die solidarisches Handeln fördern. Das können wir im Hier und Jetzt autonom und selbstorganisiert tun und andere dabei unterstützen, diese Erfahrung zu machen.

Alles in Allem ist das Buch interessant, unterhaltsam und gibt einem durchaus hilfreiche Argumente gegen Verschwörungstheorien an die Hand. Gut gefällt mir auch, dass es die Verquickung der Verschwörungstheorie-Szene mit der rechten und faschistischen Bewegung aufzeigt, auch wenn das meiner Meinung nach noch deutlicher hätte sein können.

„Angela Merkel ist Hitlers Tochter. Im Land der Verschwörungstheorien“
Von Christian Alt und Christian Schiffer
Hanser Verlag
ISBN: 9783446260283
Papier: 18 €
E-Book: 13,99 €


(1) https://www.psychomeda.de/lexikon/selbstwirksamkeit.html

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